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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dreißig Minuten am Stück. Danach muss es wieder aufgeladen werden.«
    »Hm«, sagte ich. »Wie lange dauert das Aufladen?«
    »Eine Viertelstunde. Dreißig Minuten laufen, fünfzehn Minuten Pause. Für den Weg vom Büro zum Labor und zurück reicht das, deshalb hat mein Großvater kein größeres gebaut.«
    Ich sagte nichts weiter dazu. Das Gerät war besser als nichts, und wir mussten mit dem vorlieb nehmen, was da war.
    Wir verließen das Drive-in. Unterwegs entdeckte ich einen 24-Stunden-Supermarkt und kaufte zwei Dosen Bier und einen Flachmann Whiskey. Dann hielt ich irgendwo und trank die zwei Bier und etwa ein Viertel des Whiskeys. Danach ging es mir ein bisschen besser. Ich schraubte die Whiskeyflasche wieder zu und reichte sie der Kleinen, die sie im Rucksack verstaute.
    »Warum trinkst du so viel?«, fragte das Mädchen.
    »Weil ich Angst habe«, sagte ich.
    »Ich habe auch Angst«, sagte sie, »aber ich trinke nicht.«
    »Du hast andere Angst als ich.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte sie.
    »Wenn du älter wirst, ergibt sich immer mehr, was sich nicht wieder reparieren lässt.«
    »Und man ist schneller erschöpft?«
    »Genau«, sagte ich. »Man ist auch schneller erschöpft.«
    Sie drehte sich zu mir und berührte mich am Ohrläppchen. »Mach dir keine Sorgen. Alles ist in Ordnung. Ich verlasse dich nicht«, sagte sie.
    »Danke«, sagte ich.

    Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Gebäudes ab, in dem sich das Büro ihres Großvaters befand, stieg aus und schulterte den Rucksack. In regelmäßigen Abständen zog dumpfer Schmerz durch die Wunde. Ein Schmerz, als zockele ein heubeladener Trecker über meinen Bauch. Das ist nur Schmerz, wischte ich ihn in Gedanken beiseite, oberflächlicher Schmerz, mit meinem Innersten hat er nichts zu tun. Das ist wie Regenwetter – es geht vorbei. Ich kratzte den Rest meiner Selbstachtung zusammen, verscheuchte jeden Gedanken an die Wunde und beeilte mich, dem Mädchen nachzukommen.
    Ein großer junger Wachmann am Eingang wollte die Karte sehen, die die Kleine als Bewohnerin des Gebäudes auswies. Sie zog eine Plastikkarte aus der Tasche und reichte sie ihm. Der Wachmann steckte sie in den Computer auf seinem Schreibtisch, prüfte den auf dem Monitor erscheinenden Namen und die Zimmernummer und ließ uns dann per Knopfdruck ein.
    »Das ist ein ganz besonderes Gebäude«, erläuterte mir das Mädchen, während wir die geräumige Halle durchquerten. »Die Bewohner haben alle irgendein Geheimnis zu hüten, deshalb hat man ein spezielles Wachsystem eingerichtet. Beispielsweise werden kritische Forschungen durchgeführt oder geheime Versammlungen abgehalten, so etwas. Am Eingang prüft man wie jetzt eben die Identität des Besuchers, und dann wird per Kameraüberwachung sichergestellt, dass jeder dorthin geht, wo er hingehört. Selbst wenn uns also jemand gefolgt sein sollte – in dieses Gebäude kommt er jedenfalls nicht herein.«
    »Dass dein Großvater mitten im Gebäude einen Schacht gegraben hat, der unter die Erde führt, ist denen also bekannt?«
    »Wer weiß? Ich glaube eher nicht. Als das Gebäude errichtet wurde, hat mein Großvater zwar einen Schacht planen lassen, der vom Büro direkt nach unten führt, aber das wissen nur eine Hand voll Leute. Im Grunde nur der Besitzer und der Architekt. Den Arbeitern hat man einen Abwasserschacht vorgegaukelt, und auf dem Plan für die Baubehörde hat man das auch irgendwie hingekriegt.«
    »Das muss ja Unsummen verschlungen haben!«
    »Sicher. Aber Geld hat mein Großvater mehr als genug«, sagte das Mädchen. »Ich übrigens auch. Ich bin reich. Wir haben die Erbschaft meiner Eltern und das Geld von der Versicherung vermehrt, mit Aktien.«
    Die Kleine zog einen Schlüssel aus der Tasche und entriegelte die Aufzugtür. Wir stiegen in den bewussten seltsamen Großraumaufzug.
    »Mit Aktien?«, fragte ich.
    »Ja, mein Großvater hat mir gezeigt, wie man das macht. Welche Daten zu berücksichtigen sind, wie die Marktsituation zu bewerten ist, wie man die Steuer hintergeht, wie man ins Ausland transferiert und so weiter. Aktien sind hochinteressant. Hast du schon mal welche gekauft?«
    »Leider nicht«, sagte ich. Mir waren sogar Festgeldkonten fremd.
    »Mein Großvater war früher Aktienmakler. Aber da hat er zu viel Geld verdient, deshalb ist er Wissenschaftler geworden. Toll, was?«
    »Toll«, stimmte ich zu.
    »Bei allem, was er anfängt, ist mein Großvater Spitzenklasse«, sagte sie.
    Wie beim ersten Mal bewegte

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