Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
betrachtete Rose’ erregtes Gesicht. »Ms Hebert, es tut mir leid. Ich entschuldige mich in aller Form, dass ich so taktlos gewesen bin. Ich hätte einfach besser nachdenken sollen. Sie sagen, dass Lamont kein Informant war und Ihr Vater schon gar nicht. Wer ist es dann?«
Sie verknotete ihre Finger. »Muss es denn einer von beiden gewesen sein?«
»Nein. Es könnte auch jemand sein, von dem ich bisher noch gar nichts gehört habe, irgendein kleines Licht bei den Anacondas. Aber als ich bei Johnny Merton im Zuchthaus war, hat er so getan, als ob er nie von Lamont gehört hätte. Das hat bei mir den Verdacht erweckt, dass er – entschuldigen Sie, wenn ich wieder ins Unreine denke – dass –«
»Sie glauben, dass er Lamont umgebracht hat? Das habe ich mich auch gefragt, als er damals verschwunden ist … Aber ich sehe nicht recht, was Johnny für einen Grund gehabt haben sollte … Es sei denn, Lamont hat Steve tatsächlich verpfiffen … Ja, das könnte ein Grund sein … Aber …« Nervös nestelte sie an der Serviette herum.
»Ach, dieser Johnny Merton! Es gibt nichts, was ich dem nicht zutrauen würde. Und doch hat er eine Klinik in unserer Nachbarschaft eröffnet. Und er hat die Regierung gezwungen, unseren Kindern dieselbe Milch zu geben wie den weißen Schülern. Und seine kleine Tochter hat er gehütet wie seinen Augapfel. Dayo hat er sie genannt. Das hat meinen Daddy auch mächtig geärgert, weil das afrikanisch ist. Es heißt ›Freude kommt‹.«
Sie lachte unglücklich. »Mein Vater hätte mich wahrscheinlich angeschaut und gesagt ›Freude geht‹. Ich weiß gar nicht, warum ich ihn immer verteidige.«
»Wo war denn Ihre Mutter in Ihrer Jugend?«
»Mama ist gestorben, als ich acht Jahre alt war. Meine Oma hat mich eine Weile bei sich aufgenommen, aber sie hatte ein schwaches Herz. Außerdem wollte Daddy mich sowieso lieber in der Nähe haben, um mich im Auge zu behalten.«
Ich bezahlte den Kaffee und unseren Kuchen und brachte sie wieder nach Hause. Während der kurzen Fahrt versuchte sie, sich das Gesicht mit einem Taschentuch zu trocknen. Ihr Vater sollte nicht sehen, dass sie geweint hatte.
»Er denkt wahrscheinlich, dass es um Sex ging. In meinem Alter und bei meinem Leben denkt er immer noch, dass ich mit fremden Männern Sex habe, sobald ich das Haus verlasse.«
»Warum tun Sie’s nicht?«, sagte ich, als wir vor Ihrem Haus hielten. »Es ist nicht zu spät, wissen Sie?«
Sie sah mich verblüfft, ja geradezu ängstlich an. »Sie sind eine eigenartige Frau. Wo sollte ich einen Mann finden, der mich auch nur zweimal ansieht?«
Als sie schon fast ausgestiegen war, fiel mir noch eine letzte Frage ein. »Wissen Sie vielleicht, wo Steve Sawyer jetzt ist? Ich glaube, dass sowohl Merton als auch Curtis Rivers es wissen, aber sie sagen es nicht.«
Rose schüttelte langsam den Kopf. »Er war lange Zeit im Gefängnis. Ich weiß, dass Curtis ihn besucht hat. Aber ich hab auch gehört, dass er vielleicht da gestorben ist. Ich glaube nicht, dass mir Curtis das sagen würde. Er mag mich nicht besonders, nicht mehr als Sie jedenfalls. Er denkt, ich hätte Daddy immer alles gepetzt, was wir in der Highschool gemacht haben. Das hat er mir nie verziehen.«
Sie zögerte. »Sie sind eine gute Zuhörerin. Das ist schön. Vielen Dank.«
»Das freut mich.« Ich hatte bloß deshalb gut zugehört, weil ich etwas wissen wollte von ihr – ein Gedanke, der mir so peinlich war, dass ich schnell noch hinzufügte: »Sie können mich jederzeit anrufen, wissen Sie.«
Mit schweren Schritten und hängenden Schultern ging sie ins Haus. Wenn man so gebückt ging, sah einen niemand mit Liebe oder gar Lust an, aber das brauchte ich ihr nicht zu sagen.
Ich fuhr auf den Ryan Expressway, der jetzt, im Feierabendverkehr, ungefähr so »express« war wie eine Schnecke mit Hühneraugen. Ich stand im Stau auf der Überführung des Sanitary Canal, den die Bürger von Chicago gebaut hatten, damit ihre Fäkalien nicht mehr direkt in den Michigansee flossen, sondern auf die lange Reise zum Mississippi geschickt werden konnten, als mein Mobiltelefon klingelte.
Ich sagte mir, das Handyverbot auf der Autobahn könne ja bei völligem Stillstand nicht gelten, aber dann wäre ich doch beinahe meinem Vordermann aufgefahren, als die Frau am anderen Ende sagte, Richter Coleman wolle mich sprechen.
»Herr Richter! Schön, dass Sie zurückrufen. Ich wollte Sie gern mal besuchen, um über einen Ihrer früheren Mandanten mit Ihnen zu
Weitere Kostenlose Bücher