Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
dass sie etwas sagte. Sie starb zwei Tage später, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Nach der Beerdigung, nach dem Abendessen im Gemeindesaal, wo es den leckeren Auflauf mit Schinken, Bohnen und Innereien gab, den Miss Claudia so gemocht hatte, nahmen Max und Lotty mich mit zu einem langen Wochenende aufs Land.
Am Tag, als ich zurückkam, klopfte Jake Thibaut an meine Tür. Ich hatte ihn ein paarmal auf der Treppe getroffen, und er hatte Witze darüber gemacht, ob ich vielleicht einen Gitarrenkoffer oder so etwas bräuchte, um mich darin transportieren zu lassen, aber richtig geredet hatten wir nicht.
An dem Abend hatte er eine CD in der Hand. »Die Bänder, die Sie mir gegeben haben – mit dem Gesang Ihrer Mutter darauf –, ich hab sie bearbeiten lassen. Sie hatte eine erstaunliche Stimme. Ich habe es als großes Privileg empfunden, dass ich sie hören durfte.«
Im Chaos der vergangenen Wochen hatte ich die Bänder völlig vergessen. Ich bedankte mich und legte die CD in meine Stereoanlage ein. Wie eine goldene Glocke erfüllte Gabriellas Stimme den Raum. Ich war so erschüttert, dass ich kaum zuhören konnte. All der Kummer und die Verluste der letzten Jahre!
Forse un giorno il cielo ancora
Sentirà pietà di me …
Vielleicht wird der Himmel sich eines Tages wieder meiner erbarmen. Ich spielte es immer wieder ab, während Jake etwas verlegen danebenstand. Aber dann verschwand er plötzlich für ein paar Minuten und kam mit seinem Bass zurück. Er begleitete die Arie meiner Mutter. Erst folgte er ihrem Gesang, dann spielte er den Kontrapunkt. Danach gab es nur eine natürliche Fortsetzung für diesen Abend: Ich holte die roten Weingläser, und wir tranken auf Gabriellas Andenken. Dann erzählten wir uns unsere Lebensgeschichten, und schließlich lagen wir auf meinem Wohnzimmerteppich, während Mozart und meine Mutter den Raum erfüllten.
Danksagung
Im Sommer 1966 kam ich im Rahmen eines Sozialpraktikums für den vom Presbitery of Chicago organisierten »Summer of Service« zum ersten Mal nach Chicago. Ich wurde einer weißen Wohngegend auf der Southwest Side zugeteilt, ganz in der Nähe der Gegend, wo Martin Luther King seit Januar wohnte.
Ich sollte mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren arbeiten. Meine Kollegen und ich versuchten, sie in dieser schwierigen Zeit zu unterrichten und zu unterstützen.
Dieser Sommer in Chicago hat mich geprägt. Mein unmittelbarer Vorgesetzter, Reverend Thomas Phillips, sorgte dafür, dass wir uns mit allen Aspekten des städtischen Lebens vertraut machten, vom weißen Bezirksrat, den katholischen Jugendgruppen und den Nachbarschaftsorganisationen bis zu den umfassenderen politischen und gesellschaftlichen Konflikten der Stadt.
Die White Sox, deren Stadion ganz in der Nähe war, reagierten überhaupt nicht auf unsere Anrufe, aber die Cubs schenkten unseren Kindern jeden Donnerstag Freikarten, und so bin ich zum Cubs-Fan geworden, eine schwere Bürde für mein weiteres Leben. Bei einer Freiluftaufführung sahen wir Shaws Heilige Johanna auf dem Campus der University of Chicago, die im Mondlicht zu einem Zauberschloss wurde und heute noch meine Heimat ist.
Im Sommer 1966 führten Martin Luther King und einige örtliche Führer der Bürgerrechtsbewegung wie der Lehrer Al Raby eine Reihe von Protestmärschen an, um die katastrophale Wohnungspolitik der Stadt Chicago anzuprangern. Die Vorstellung des »open housing«, also einer Wohnraumvergabe ohne Rassendiskriminierung, löste heftige Unruhen bei der weißen Bevölkerung aus. Der Marquette Park, der acht Blocks von meiner Wohnung und Arbeitsstelle entfernt lag, war Schauplatz einer achtstündigen Auseinandersetzung zwischen einem weißen Mob aus der Nachbarschaft und der Polizei, die Dr. King und seine Begleiter beschützte. Slogans voller übelster Beleidigungen wurden im Park und der ganzen Stadt plakatiert.
Viele unserer Nachbarn, besonders Gemeindemitglieder der örtlichen Kirchen, stellten sich dieser Herausforderung mit Mut, Offenheit und Nächstenliebe. Leider gehörten einige unserer Nachbarn aber auch zu den hasserfüllten Aufrührern, die im Marquette Park mit Steinen und Flaschen warfen.
Die Leidenschaften dieses Sommers, meine Arbeit mit den Kindern und das Engagement für die Stadt mit all ihren Fehlern haben Chicago für immer zu meiner Heimat gemacht. Die Stadt ist ein Teil von mir, und ich bin ein Teil dieser Stadt. Hardball spielt in der Gegenwart, aber die Geschichte hat ihre Wurzeln
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