Hardware
fortschreitende Verwüstung. Die am weitesten draußen stehenden Gebäude sind wenig mehr als Schutt, vielleicht ein oder zwei Kamine; weiter landeinwärts stehen die Gebäude, die sich wie in einer Vorahnung auf den unvermeidlichen Einsturz zur See hin neigen oder nach dem Zusammenbruch einer zur See gerichteten Wand ihr geplündertes Inneres zur Schau stellen. Einige sind fast unberührt; die massiven Steinwände mancher alten Bürogebäude bleiben fleckig, aber trotzig aufrecht stehen, und weit im Landesinneren, wo sich das Wasser nur ein paar Zentimeter über den Fußböden kräuselt, sind die Gebäude noch intakt und fast bewohnbar. Natürlich sind sie längst ausgeweidet worden, die Möbel sind ausgeräumt, Holz und Leitungen herausgerissen. Nach dem Krieg gaben die Gebäude Tausenden von Flüchtlingen ein Zuhause, die aus dem verwüsteten Norden in das unbeschädigte, besetzte Florida kamen, und die verzweifelte Besetzung verbesserte ihren Zustand nicht. Die Flüchtlinge ließen manches auf ihren eigenen Sperrmüllhaufen zurück, wiederverwendete oder selbstgemachte Möbel, Matratzen, verrottende Decken, Stapel verschimmelnder Kleidung. Dinge, die einer neuen Generation von Flüchtlingen von Nutzen sein konnten.
Jetzt sind es nicht mehr viele, die in Venice leben, nur ein paar entschlossene Exzentriker, Wanderer, die auf dem Weg nach Irgendwo hier durchkommen, und solche auf der Flucht, die schon alle anderen Versteckmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Menschen wie Sarah.
Das Taxi fährt auf einer Straße oberhalb der Flutlinie, einem Damm, der in weitem Bogen durch die Ruinenstadt verläuft und - von klarem Wasser flankiert - schließlich durch die Bucht zu dem versinkenden St. Petersburg führt. Zerbrochene Fenster scheinen ins Taxi hineinzuspähen. "Halten Sie hier!" sagt sie, und als das Schwungrad des Taxis auskuppelt, schiebt sie Scheine durch die kugelsichere Trennscheibe. Wenn das ihr letztes Trinkgeld ist, denkt sie, dann soll es wenigstens großzügig sein.
Der Fahrer zählt verblüfft das Geld, während Sarah die Böschung hinunterschlittert. Warmes Wasser empfängt sie, und in ihrem Kopf ertönt das Knistern und Schnarren von Funkgesprächen. Ihre Knöchel sind von Wasserlilien umringt, als sie durch eine flache Stelle zwischen zwei Apartmentgebäuden watet. Hinter ihr hört sie das leise Zischen des Mercury auf dem Damm, wagt aber nicht recht, hinzusehen. Sie tritt durch eine Tür in das Foyer eines Wohnhauses. Der Empfang in ihrem Kopf wird schwächer.
Der Raum ist von Dunkelheit und hellen, nassen Geräuschen erfüllt. Schlick steigt um ihre Füße auf, während Reflexe kleiner Wellen an der Decke tanzen. Schimmel kriecht an alten, verschmierten Tapeten hoch, Algen verschlingen die hingekritzelten Obszönitäten der letzten Bewohner. Ein verblödeter Fisch stößt wiederholt gegen ihr Schienbein; er riecht dort etwas, das er haben will. Die Fahrstuhltüren stehen offen und enthüllen zerbrochene Spiegel und ein herunterhängendes Kabel. Sarah bewegt sich vorsichtig auf dem verkrusteten Teppich entlang, steigt die Treppe bis zum Absatz hoch und gestattet sich einen zwei Sekunden langen Blick aus einer zerbrochenen Fensterscheibe mit messerscharfen Glassplittern.
Der Mercury ist noch knapp hundert Meter über den Damm gekrochen und dann an die Seite gefahren. Zwei Köpfe spähen heraus, während der Verkehr vorbeibraust. Sarah langt nach der Steuerung und schaltet die Stimmen in ihrem Kopf ab. Die beiden klettern aus dem Wagen und gehen zu Fuß am Rand des Highway zurück. Sarah steigt die Treppe hinauf.
Echos ihrer Kindheit hallen von den kaputten Wänden, von dem Müll auf den Treppenabsätzen wider. Wie viele Jahre hat sie in einem solchen Haus gelebt, sich in den rissigen Ecken versteckt, in den glasübersäten Fluren gespielt? Um jetzt zurückzukommen, weil sie - wieder einmal - nirgends anders hin kann. Sarah ist in die Flure ihrer Kindheitserinnerungen zurückgekehrt, um noch einmal Räuber und Gendarm zu spielen.
Durch die vernagelten Fenster fällt genug Licht ins Treppenhaus. Die Wände sind streifig von all den Regengüssen. Ein wildes Durcheinander von Pilzen wuchert auf jedem Absatz. Unter dem fleckigen Teppich geben müde Bretter nach. Sarah hinterläßt Fußabdrücke in dem durchweichten Dreck, eine Spur, der die beiden Soldaten folgen können.
Es ist ein alter Trick, Fußabdrücke in einem Flur zu hinterlassen und dann in seinen eigenen Spuren
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