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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Antwort kam nur ein undeutlicher Laut, und der Körper des fremden Jungen rührte sich ein wenig, aber ohne rechte Gegenwehr. Harka gewann Zeit, den Fremdling etwas näher ins Auge zu fassen. Der fremde Junge trug kurze Hosen und ein zerschlissenes Hemd.
    Seine Haare waren sehr merkwürdig. Solche krausen Haare hatte Harka noch nie gesehen. Die Haut schien dunkel, soweit das im Mondlicht erkennbar war. Unwillkürlich mußte der Dakotajunge an den fremdartigen Fund denken, an die kleine Tasche mit der unbekannten Muschelart. Vielleicht gehörten der kraushaarige Junge und die Muscheln zusammen.
    Harka hatte mit den linken Knie festen Halt auf der Erde, das rechte drückte er dem am Boden liegenden Jungen ins Kreuz. Er wußte selbst nicht genau, wie er sich weiter verhalten sollte. Er wollte den anderen nicht töten, wenn es nicht notwendig war. In der Lage, in der sich die Bärenbande befand, schien es das beste, Gefangene zu machen, die etwas über die Vorgänge beim Feind aussagen konnten. Aber Harka wollte auch den Vorteil, den er jetzt über den anderen hatte, nicht aus der Hand geben. Es war nicht so einfach, das Richtige zu tun.
    Der kraushaarige Junge war sehr mager, er war nur Haut und Knochen. Als Harka den Griff am Hals lockerte und fragte: »Ergibst du dich?«, kam wieder nur ein unverständlicher Laut, und dann streckte der fremde Junge Körper und Glieder ganz kraftlos. Das war ein Zeichen der Ergebung, oder es war eine List. Harka entschloß sich, die Probe zu wagen. Das spitze, zweischneidige Messer immer fest und stichbereit in der Faust, gab er den Hals des unter ihm Liegenden frei und sprang dann auf die Füße. Er hatte sich überzeugt, daß der andere keine Waffe besaß.
    »Dreh dich um und setze dich auf!« befahl er, und als der andere immer noch nichts zu verstehen schien, nahm Harka das Messer zwischen die Zähne, streifte die leere Scheide mit der Lederschnur rasch über den Kopf, und als der andere sich noch nicht gerührt hatte, packte er geschwind dessen Hände und band sie ihm rücklings mit der Lederschnur zusammen. Er fand keinen Widerstand.
    Das erzürnte ihn, denn er wollte lieber einen tapferen Gegner besiegen als einen, der sich widerstandslos ergab. Mit einem leichten verächtlichen Fußtritt gab er dem anderen zu verstehen, was er über ihn dachte. Dann warnte er die Späher mit einem kurzen, dreimal wiederholten Kojotenkläffen. Harka verstand dieses Kläffen gut nachzuahmen, so gut, daß sofort einige Dorfhunde anschlugen. In der Stille der Prärienacht war jedes Geräusch weithin zu hören. Harka wartete. Er rechnete damit, daß ein Späher vom jenseitigen Flußufer herüberkommen würde. Darin hatte er sich nicht getäuscht. Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich Alte Antilope neben ihm. Harka berichtete kurz, was geschehen war.
    Alte Antilope besichtigte den gefesselten Jungen; wahrscheinlich war auch er erstaunt. Nach kurzem Überlegen lud er den Gefangenen auf seine Schulter und huschte damit tief geduckt in großen Sätzen dem Flusse zu. Harka rannte hinter ihm her. Sobald sich die beiden dem Ufer näherten und sich damit unter dem Schutz der Schußwaffen der Dakotaspäher befanden, mäßigten sie die Eile. Ganz in Ruhe wateten sie schließlich zusammen durch den Fluß.
    Am Südufer wartete schon Mattotaupa mit einigen Kriegern. Sie alle gaben den beiden das Geleit bis zum Häuptlingszelt und traten mit ein. Untschida, Scheschoka und Schonka waren auf. Scheschoka fachte die Glut in der Feuerstelle an, und Antilope nahm den gefangenen Jungen von der Schulter und legte ihn so, daß der Feuerschein über ihn fiel. Der fremde Junge hielt die Augen offen und schaute ernst, unbeweglich auf die Krieger. Er hatte große schwarze Augen und eine dunkle Haut.
    Mattotaupa trat an ihn heran. »Wer bist du?«
    Der Junge antwortete etwas, was niemand verstand.
    »Leder und Farbe«, sagte der Häuptling zu Untschida, und als diese das Gewünschte gebracht hatte, löste Mattotaupa dem gefangenen Kind die Fesseln und setzte es auf. Er ließ sich neben dem fremden Jungen nieder und zeigte ihm, wie man mit der Farbe auf dem Leder Bilder malen konnte. Der Junge schaute zu und griff dann gierig nach der Möglichkeit, sich zu verständigen. Der Häuptling verfolgte aufmerksam, was das fremde Kind auf das Leder malte, und Harka, der seinen Vater gut kannte, entnahm den Mienen des Häuptlings die Befriedigung. Der kraushaarige und schwarzhäutige Junge in den verschlissenen Kleidern mußte

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