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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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besonders klug und geschickt sein, da er sich die Zufriedenheit des Häuptlings so rasch zu verdienen vermochte. Harka atmete auf. Vielleicht hatte er doch keinen schlechten Gefangenen gemacht.
    Es dauerte zwei lange Stunden, bis das Kind alles sorgfältig aufgezeichnet hatte, was es sagen wollte. Oft hatte es überlegt, mit was für Bildern es deutlich und kurz sprechen können.
    Mattotaupa mochte beim Zuschauen schon verstanden haben, was die Bilderschrift bedeuten sollte. Er reichte die bemalten Lederstreifen jetzt Hawandschita, der sie lange studierte, um sie dann wortlos an Sonnenregen weiterzugeben. Auch dieser betrachtete sie genau und gab sie endlich Mattotaupa zurück.
    Harkas Spannung erreichte einen Höhepunkt.
    »Mattotaupa wird zuerst sprechen«, sagte der Zaubermann.
    »Hau«, antwortete der Kriegshäuptling. »Das sprechende Leder gibt uns viele Nachrichten. Der Vater dieses Knaben, den mein Sohn Harka gefangen hat, ist aus einem fernen Lande über das Meer hierhergeschleppt worden und mußte für die weißen Männer arbeiten. Sie schlugen ihn oft. Ist es so?«
    Hawandschita und Sonnenregen stimmten zu. Harka kräuselte die Lippen. Er konnte es nicht verstehen, daß sich ein Mann schlagen ließ.
    Mattotaupa fuhr fort: »Die weißen Männer in unserem Lande haben sich in zwei Stämme gespalten, einen Nordstamm und einen Südstamm. Diese haben das Kriegsbeil widereinander ausgegraben und kämpfen seit mehreren großen Sonnen hart miteinander. Der Südstamm läßt schwarze Männer, Frauen und Kinder aus dem fernen Lande jenseits des Meeres unter der Peitsche für sich arbeiten. Der Nordstamm will das verhindern.«
    »Dann sind die Männer des Nordstammes also gerechtere Männer?« fragte Sonnenregen.
    Mattotaupa wiegte den Kopf. »Ich kann es noch nicht entscheiden. Der Nordstamm plant ein Geheimnis, das ich nicht verstehe. Er plant einen Pfad durch die Prärien, südlich des Pferdebaches, an dem wir unsere Zelte aufschlagen wollen, und auf dem Pfad will er ein geheimnisvolles Ungetüm laufen lassen.«
    »Uff, ja, so habe ich es auch auf dem Leder gelesen. Vielleicht ist das Ungetüm schon gekommen und hat unsere Büffel gefressen.«
    Mattotaupa studierte das Leder nochmals. »Das Ungeheuer hat die Büffel nicht gefressen. Aber ich glaube, es hat sie getötet. Von dem Fleisch der Büffel, die das Ungeheuer getötet hat, haben die Pani einen Teil erhalten.«
    Nach diesem Bescheid, den der Häuptling dem »sprechenden Leder« entnahm, sagten die Männer lange nichts. Wenn der Nordstamm der weißen Männer solche Ungeheuer sandte, die Büffelherden töteten, so war das ein schreckenerregendes, ein beinahe unfaßbares Unglück für die Präriebewohner.
    Mattotaupas Stimme riß schließlich die Männer, Frauen und Kinder im Zelt aus ihrem schweigenden Entsetzen heraus.
    »Die Krieger der Bärenbande werden verstehen, was sie zu tun haben. Wir werden den Pani das Fleisch wegnehmen; wir werden unsere Bogen spannen, und unsere Pfeile werden das Ungeheuer des Nordstammes töten. Ich habe gesprochen, hau!«
    Das Entsetzen wandelte sich zu einer dumpfen Erregung der Zuhörer. Ein solcher Kampf, wie er jetzt bevorzustehen schien, war für die Männer keine Freude. Es hatte wohl übermütige Kampfstimmungen gegeben, in sonnenreichen Herbsttagen, nach reichen Jagdzügen, wenn die Krieger satt waren und ihnen nichts begehrenswerter erschien, als ihre Kräfte zu erproben und alten Feinden ihre Überlegenheit zu beweisen. In solchen Momenten hofften sie, daß Zaubermann und Kriegshäuptling einen kecken Überfall gutheißen würden. Aber jetzt waren die Männer hungrig, ihre Glieder mager, die Reihen der Krieger gelichtet, und die Feinde waren in dreifacher Überzahl. Das Ungeheuer des Nordstammes der weißen Männer war geheimnisvoll und darum furchterregend, und wer wußte, ob man es mit Pfeilen überhaupt verwunden konnte? Trotz allem mußte etwas unternommen werden.
    Mit ernsten Worten gaben Sonnenregen und Hawandschita ihre Meinung kund, am folgenden Tage eine allgemeine Beratung abzuhalten.
    »Wir werden die Beratungspfeife rauchen«, sprach Mattotaupa. »Und nun, nachdem ihr das Wichtigste erfahren habt, will ich euch auch noch das weniger Wichtige mitteilen, was auf dem sprechenden Leder verzeichnet steht. Dieser Knabe hat einen Vater, der bei den weißen Männern des Südstammes arbeitete. Er entfloh mit seinem Kind, und da es ihm nicht gelang, zu dem Nordstamm zu entkommen, schlug er sich in die Prärien. Da

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