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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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von der unermeßlichen Stille, die Harka von Kind an als Lebenselement gewohnt war und in der das geübte Ohr den kleinsten aufklingenden Laut registrierte.
    Die Kinder in den Rutschen waren eingeschlafen und rührten sich nur hin und wieder im Traum, wenn ihnen die Pferdeschweife übers Gesicht fuhren. Die Kleinsten, die noch von den Müttern im Fellsack auf dem Rücken getragen wurden, hatten längst die Augen geschlossen. Jungen und Mädchen saßen müde auf den Pferderücken in der lässigen Haltung von Reitern, die seit dem vierten Lebensjahr das Reiten erlernt hatten und denen der Sitz auf einem Pferderücken fast so gewohnt war wie das Laufen im Gras. Die beiden Führer des Zuges, Mattotaupa und Sonnenregen, schritten kräftig aus; ihre Speerspitzen zeichneten sich schwarz gegen den Himmel ab.
    Leise gingen die Pferde mit ihren unbeschlagenen Hufen über den Wiesenboden.
    Harkas Nerven hörten auf zu zittern. Seine Erregtheit verlor die stoßweise Bewegung und schwang in längeren Wellen. Er hatte viele Nachtstunden für sich, in denen ihn niemand störte, in denen nichts geschah, was seine Aufmerksamkeit von außen her beanspruchte. Er konnte ganz bei sich selbst bleiben und nachdenken. Die große Stille um ihn machte ihn auch im Innern gefaßter.
    Der Geheimnismann Hawandschita hatte einen großen Zauber, Ruhe vor den Feinden und Jagdglück versprochen. Harka hatte den alten Zaubermann noch nie bei einer Lüge ertappt. Manchmal waren die Geister, mit denen Hawandschita gesprochen hatte, nicht mächtig genug gewesen, und so war zum Beispiel Weißer Büffel an der unerklärlichen Krankheit gestorben, ohne daß der Zaubermann ihm hatte helfen können. Aber Sonnenregens schwere Wunden heilten gut, auch der Messerstich im Bein Mattotaupas vernarbte schon, und Hawandschita kannte die Prärien und Wälder und hatte gewußt, wo die Furt zu finden war. Er war alt, weise und angesehen. Harka bezwang sich selbst und entschloß sich, ohne Unruhe zu warten, ob der große Zauber in Erfüllung gehen werde. Mattotaupa, Sonnenregen, alle angesehenen Krieger der Bärenbande hatten der Entscheidung Hawandschitas zugestimmt. Einem Knaben kam es nicht zu, den Rat der Alten anzuzweifeln.
    Aber alles das, was Harka so dachte, blieb doch nur an der Oberfläche seines Denkens und Fühlens, und tief auf dem Grunde seines Innern wühlten die zweifelnden Gedanken, und im Grunde wußte er auch, daß alles anders geworden war, seit jener Nacht, in der der Vater ihn in den Wald zu der Höhle gerufen hatte. Es war viel geschehen, was Harka nicht ganz verstehen konnte, und die Autorität des alten Zauberers, aber auch das Ansehen des eigenen Vaters standen bei Harka nicht mehr so unangreifbar fest wie noch vor einigen Wochen. Der Knabe fühlte, daß er von irgend etwas Abschied nahm, aber er wußte noch nicht, daß es seine eigene Kindheit und damit die Unverbrüchlichkeit seiner kindlichen Vorstellungen war, was er verlor, und daß die wilden umwälzenden Geschehnisse in dem großen Land, in das er hineingeboren war, ihn wie mit einem Angelhaken zu fassen begannen, vor dem es kein Entrinnen mehr gab.
    Das konnte er nicht wissen, aber doch blieben ihm die Worte des Vaters über den bösen Zauber des Steins, der jetzt in Hawandschitas Hand war, unvergeßlich, ebenso wie die Nacht bei der Höhle und das unheimliche Erlebnis an dem unterirdischen Wasserfall. Wo wohl jener Mensch geblieben war, der damals den Vater und ihn beinahe in die Tiefe gerissen hatte? Harka scheuchte diese und andere Gedanken tief in den Winkel seines Innern zurück, aus dem sie wider seinen Willen hervorgekrochen waren. Er würde mit der Ruhe, die sich für einen Dakota geziemte, abwarten, ob und wie der große Zauber wirksam würde.
    Die Nacht ging ihrem Ende zu. Im Osten wurde es hell, die Sonne ging auf, und die ganze Pracht ihres Lichtes leuchtete über die welligen Wiesen und den Fluß bis auf seinen sandigen Grund. Harka beobachtete Fische in dem klaren Wasser, aber zum Fischen war jetzt nicht Zeit.
    Mattotaupa ließ bei Sonnenaufgang nur kurz haltmachen, um das Morgengebet »um Nahrung und Frieden« für die ganze Schar zu sprechen. Dann setzte sich der Zug schon wieder in Bewegung. Weiter und weiter ging die Wanderung, und sie wurde jetzt eine gewaltige Anstrengung für Mensch und Tier. Die Säuglinge in den Tragen auf den Rücken der Mütter schliefen, kaum erwacht, wieder ein. Die Kinder in den Rutschen rieben sich das von Pferdeschweifen wund geschlagene

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