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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Meter, aber das aufgerichtete Tier überragte ihn bei weitem. Der Junge erreichte nicht einmal die Schulterhöhe des Bären und war der vollen Wucht eines Tatzenschlages ausgesetzt. Er besaß noch eine einzige Waffe, die elastische Keule, und er hatte in der verzweifelten Lage noch Überlegung genug, sie zu gebrauchen. In Sekundenschnelle schwang er sie und traf mit dem Stein die eine Pranke des Bären.
    Der Angriff des Tieres verzögerte sich dadurch. Diesen Augenblick nutzte Mattotaupa. Mit riesigen Sätzen war er herangeeilt. Waffenlos sprang er jetzt hinter den Rücken des Bären, und seine Arme umschlangen den Hals des Tieres.
    Das Tier, dessen ganze Wut und Aufmerksamkeit sich auf Harka richtete, war durch den Angriff im Rücken verblüfft. Es reagierte nicht sofort mit voller Kraft, sondern schlug mit den Tatzen leer um sich; die eine war von Harkas Keulenschlag getroffen und nur noch halb gebrauchsfähig.
    Mit ungeheurer, übermenschlicher Anstrengung, ringend um das eigene Leben und um das seines Sohnes, hielt Mattotaupa den Hals des Bären umschlungen. Seine Füße stemmten sich in den Grasboden, seine Muskeln traten hervor, seine Adern schwollen blau an, und das Schweißwasser lief ihm von den Schläfen. Mit aufgerissenem Rachen wehrte sich das Raubtier, weit streckte es die Zunge heraus, und seine gefährlichen Zähne waren alle zu sehen. Er versuchte seinen Feind umzuwerfen.
    »Vater!« schrie Harka, und er schwang die Keule, um den Bären nochmals zu treffen, diesmal an der einen hinteren Pranke, mit der sich das Tier auf dem Grasboden einstemmte.
    Die Kräfte des Bären schienen kaum nachzulassen, obgleich ein Röcheln aus seinem Rachen drang. Mattotaupas Augen waren weit aufgerissen, er keuchte schwer.
    Harka sah den Knauf des Messers, das Mattotaupa geworfen hatte, zwischen den Grasbüscheln. Er sprang hin und riß es an sich. Als er zu dem ringenden Vater zurückkam, war der Bär, dem der Atem versagte, im Stürzen, aber auch der Häuptling hatte seine Kräfte verausgabt. Das Raubtier riß Mattotaupa mit um.
    Harka wollte dem Vater das Messer in die Hand drücken. Aber Mattotaupa achtete noch nicht auf ihn. Selbst röchelnd, wand er sich unter dem Bären hervor – jetzt faßte er das Messer.
    Das Raubtier zuckte noch und schlug mit der einen unverletzten Tatze um sich. Sich unter die Pranken des Tieres wagend, stieß der Häuptling ihm das Messer ins Herz.
    Der Kopf des Bären sank zurück, die Pranken wurden alle schlaff. Das Tier schlug sich noch einmal auf die andere Seite. Dann rührte es sich nicht mehr.
    Der große graue Bär war tot.
    Hell jubelnd klang der Siegesruf der beiden Indianer über die Prärie. Nach einigen tieferen Atemzügen begannen sie, den Bären miteinander zu betrachten. Es war ein besonders großes und kräftiges Tier von mittlerem Alter. Jetzt, da es im Gras lag, bestaunte Harka noch einmal das Gebiß, den mächtigen Körper, die Pranken, die ihm wenige Augenblicke zuvor noch so gefährlich geworden waren.
    »Du hast ihn besiegt, Vater!« sagte Harka voll tiefer Bewunderung. »Einen Bär erwürgt! Das ist noch nie geschehen!«
    »Wir haben ihn zusammen besiegt, Harka.«
    Der Knabe ging immer wieder um das Tier herum. Er hatte schon viel von dem grauen Bären gehört, aber zum erstenmal in seinem Leben sah er ein solches Tier. Vom Vater erlegt! Wie würde das ganze Zeltdorf jubeln! Gefiederter Pfeil war gerächt.
    »Dieses Fell kommt in unser Zelt«, sagte Mattotaupa.
    »Und aus den Krallen, Vater, machst du dir eine Kette! Die ist noch besser als die Halskette Langspeers aus Gold und Edelsteinen!«
    »Ja, eine Kette. Und das Fleisch wird uns schmecken, Harka. Bärentatzen werden wir essen! Ich habe schon einige mitgebracht, das weißt du. Wir werden unsere Gäste bewirten!«
    Harka fing an zu lachen, seine Erregung löste sich.
    »Ja, Bärentatzen, Vater! Das wird uns allen schmecken.
    Wollen wir den großen Grauen gleich abhäuten?«
    Mattotaupa schaute nach der Sonne. »Ja, es ist Zeit dazu. Laß ihn uns abhäuten und das Fell und die Tatzen sogleich mitnehmen zu den Zelten. Das übrige Fleisch mögen dann die Frauen holen.«
    Die beiden machten sich an die Arbeit. Harka half schon sachverständig. Wenn er auch noch keinen Grizzlybären abgehäutet hatte, so doch schon viele andere Wildbeute.
    »Was werden Tatanka-yotanka und Hawandschita sagen, Vater? Der Bärengeist hat uns nicht überwältigt.«
    »Er hat uns nicht überwältigt, und wir werden tanzen, um ihn zu

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