Harlekins Mond
Gabriel fand sich in der Umarmung eines blonden Mädchens wieder, das fast so groß war wie er und ganz aus Beinen und Kurven zu bestehen schien. Star drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er lachte, fasste sie um die Taille und klopfte Shane zur Begrüßung auf die Schulter.
»He, alter Mann«, zog Shane ihn auf, »du hast sie früher mal gehabt. Jetzt gehört sie mir.«
»Na und? Was ist schon dabei, wenn man ein bisschen mit einem alten Freund flirtet?«, fragte Star. »Es ist ja eh nicht so, als hätte Gabriel Augen für irgendeine andere als Erika.«
»Nun«, meinte Shane, »er versteht sich ziemlich gut mit Ali. Zumindest nach dem, was man so hört.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Also, seh’n wir mal. Wenn ich mit einer Pilotin schon keine Schichtpartnerschaft eingehen kann, weil sie schlichtweg keine regulären Schichten hat – soll ich dann einfach herumsitzen und warten, während ich diesen Felsen hier terraformiere?«
Star trat zurück und schlug sich lachend die Hände vors Gesicht. »Dann hast du mit mir also nur die Zeit totgeschlagen?«
»Ich habe sie mit Leben erfüllt. Und mir liegt auch etwas an Ali. Und Erika wird bald wach sein.«
»Wer hat sie hier mit Leben erfüllt?« Star vollführte spaßeshalber einen provokanten kleinen Ruck mit den Hüften. »Nicht, dass ich Shane gegen irgendwen eintauschen würde -aber ich wette, du kannst es gar nicht erwarten, wieder mit Erika zusammen zu sein.« Star grinste ihn an und zog eine Augenbraue hoch.
»Nun, ich mag euch eben alle.« Er fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Ihr habt recht. Erika ist für mich etwas Besonderes. Es wird sicher Wochen dauern, sie auf den neuesten Stand zu bringen.«
Shane lächelte breit. »Du wirst natürlich jede Minute davon hassen.«
Gabriel grinste. »Wer sagt, das Leben sei leicht?«
»Wir nicht.« Star und Shane küssten einander, und Shane holte drei Weinschläuche. Star fuhr fort: »Es ist hier nämlich nicht gerade einfach gewesen. Heute haben Shane und ich das erste Mal seit Tagen Zeit füreinander. Ich weiß, du bist kalt gewesen, aber bei den Zuständen, die hier herrschen, wird mittlerweile wirklich der Hund in der Pfanne verrückt. Der Hohe Rat hat neue Vorschriften erlassen, die umreißen, wer hier was tun darf, und rate mal, an wem die ganze Aufsichtsarbeit hängen bleibt? Oh, die hohen Herren waren so nett, ein bisschen von der Arbeit auf den Feldern von Erdgeborenen beaufsichtigen zu lassen, aber das ist auch schon alles. Wir schuften uns hier unten zu Tode. Und wenn wir dokumentieren, was wir hier alles zu tun haben – zum Teufel, allein schon das, was wir alles nicht geschafft bekommen –, dann sagt der Hohe Rat nur ›Seht zu, dass ihr es trotzdem erledigt*! Ich bin reif für eine Ruhepause, das kann ich dir sagen! Damit wirst du dich herumschlagen müssen – die Leute tun, was sie tun sollen, und kriegen Babys wohin man auch schaut, die Schulen sind voll, aber wir können das einfach nicht alles bewältigen. Ist dir eigentlich klar, dass wir hier unten nur zehn Ratsleute sind?«
Gabriel überschlug die Zahlen rasch im Kopf. Zusätzlich zu den fünf Angehörigen des Hohen Rates zählte der Rat 200 Mitglieder – eine handverlesene Mischung aus Wissenschaftlern und Spitzenkräften aus allen Bereichen von Humanressourcenmanagement bis hin zu Antriebsmechanik. Das Team der Terraformer bestand aus 57 Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen. Weitere 20 waren ihnen aushilfsweise zugeteilt, und alle Übrigen befanden sich entweder, wie Erika, in langfristiger Dienstplanrotation, oder schlimmer, sie blieben kalt, bis sie irgendwann einmal Ymir erreicht haben würde.
Der Hohe Rat gab sich alle Mühe, mit den auf der Erde ausgebildeten Räten ebenso wie mit den Kolonisten sparsam umzugehen, bis sie auf Ymir gebraucht würden. Sicher, die anderen Schiffe waren vermutlich dort angekommen. Doch dafür gab es keine Bestätigung – und so sparte man an den Ressourcen. Das bedeutete, zehn Leute waren eine Menge Personal – wahrscheinlich so viele, wie letztlich zu erwarten waren, wenn man bedachte, dass sich nicht sämtliche Ratsangehörigen im Warmzustand gleichzeitig auf Selene aufhalten konnten.
Also sagte er: »Zehn sind eine Menge.«
»Bei allem, was wir hier zu tun haben?«, beschwerte sich Star. »Wir brauchen Hilfe! Komm schon, Gabe, wir verwalten die Stadt und geben Schulunterricht, außerdem sind wir verantwortlich für die Sicherheit, das Auspflanzen und die
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