Harlekins Mond
herumspielen!«
Sie muss das verdammte Ding doch nicht landen, dachte er. Refuge muss sowieso vorher noch sterilisiert werden. Sie wird es nur in einen niedrigen Orbit bringen. Keine große Sache.
Auf Selene gab es nicht genügend Ressourcen, um einen Großbrand zu bekämpfen. Gabriel hielt Ausschau nach Flugverkehr zwischen der John Glenn und Selene; nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass jemand vom Rat erkannt hatte, was zu tun war und sich hinunterbegab, um zu helfen. Das Feuer sah winzig aus, doch Gabriel schätzte es auf zwölf Quadratkilometer oder mehr; ein Zehntel des bislang gepflanzten Urwalds. Er hasste die Zwei-Sekunden-Verzögerung in der Sprechverbindung – sie wirkte wie ein universelles Stottern. Er lief auf und ab.
In einem der Frachträume des Transporters war ein schnelles leichtes Landefahrzeug untergebracht. Das würde genügen, um ihn zur John Glenn zu bringen. Es dauerte lange, bis sie nahe genug an Harlekin und Selene herangekommen waren, um es benutzen zu können. Gabriel gab die erforderlichen Kommandos zur Freigabe des Landers und küsste Erika hart auf den Mund. Er versiegelte die Verschlüsse seines Anzugs mit einer Hand, während er sich mit der anderen in Richtung Laderaum zog.
KAPITEL 36
WALDBRAND
Das Skelett eines Kapokbaumes, eine schwarze Silhouette inmitten des Feuers, wurde immer wieder von einem unheimlichen Aufblitzen umzüngelt. Rachel, die am Rande einer Lichtung kauerte, sah den Baum brennen. Er erstrahlte im Sterben heller als jemals im Leben. Irgendwann blieb nicht mehr viel übrig, was die Flammen hätten verzehren können, und was schließlich zu Boden krachte, war glühend heiß, hatte immer noch die Form eines Baums und war immer noch in Flämmchen gehüllt, bis nur noch weiße Asche in den Umrissen eines Baumes übrig war. Der Wind erfasste das, was zurückblieb, und verstreute den vormals soliden Stamm und die Äste.
Das Feuer bewegte sich langsam auf Rachel zu; es züngelte durch das niedrige Gras. Ein Stück weiter stürmte es durch den an Nahrung reichen Urwald zu beiden Seiten der Lichtung voran. Rachel blickte immer wieder zurück. Laufen, innehalten und schauen, weiterlaufen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie vom Feuer eingeschlossen werden.
Sie rannte.
Die Hitze war eine physische Gewalt, die von beiden Seiten auf Rachel eindrang und sie vor sich hertrieb. Der Geruch von Tod und Flammen und rauchiger Gefahr ließ die Luft dick werden. Das Feuer verursachte eine Menge Lärm: Es prasselte und knackte, ließ Blitze und heulende chaotische Winde entstehen.
Die Geräusche des Feuers blieben hinter ihr zurück, wurden übertönt von dem Klang angestrengt arbeitender Motoren und brechender Baumstämme, und Rachel erkannte schließlich, dass sie der unmittelbaren Todesgefahr entronnen war. Keuchend blieb sie stehen und sog süße kühle Luft tief in ihre versengten Lungen. Vor ihr zermalmten zwei der 15 Meter langen Pflanzmaschinen junge Bäume oder schoben sie beiseite, um weite gerodete Bereiche zu schaffen. Überall kräuselte sich Rauch.
Einer ihrer Halbbrüder, Justin, kam herbeigeeilt und brachte ihr Wasser. Rachel trank in tiefen Zügen, während sie zusah, wie das Feuer herannahte. Hier, in hundert Metern Entfernung, war die Hitze immer noch greifbar. Schweiß lief ihr in Strömen über die nackte Haut. Sie schüttelte die geballte Faust in Richtung Feuer, dann wandte sie sich um und lief los, um den hinteren der beiden Pflanzer einzuholen und gemeinsam mit ihrer Gruppe zum Basiscamp zurückzukehren.
Rachel hatte noch nie ein offenes Feuer gesehen. Für so etwas gab es keinen Platz, weder auf Selene noch an Bord der John Glenn. Das Feuer nahm ihr gewaltsam den Atem und erfüllte sie mit Angst und Adrenalin, sodass sie nur noch davonrennen wollte, nur noch laufen, laufen, laufen. Es bewegte sich schnell voran und war heiß genug, um den Bäumen die Feuchtigkeit auszusaugen.
Sie waren zu langsam gewesen. Das Feuer strömte durch Lücken wie durch einen Windkanal und sprang über die zweite Linie ihrer hart erkämpften Feuerschneisen. Rachel wischte sich Schweiß und Tränen aus den Augen, sprang auf einen Wartungssteg an der Außenseite des Pflanzers und hielt sich an einem improvisierten Sicherungsseil fest, während der Pflanzer sich rumpelnd von der Feuerfront entfernte. Schweiß lief Rachel in Strömen über das Gesicht. Jedes Gefäß, jede Membran in ihrem Innern war ausgedörrt wie eine Wüste. Ihr Bauch schmerzte.
Es war das Ende
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