Harlekins Mond
war als ihre Faust.
»Ich glaube, das wäre nicht gut«, meinte Bruce mit gänzlich ausdruckslosem Gesicht; nur seine Augen funkelten.
Rachel hätte am liebsten gelacht, aber verdammt noch mal, es ging hier um eine ernste Angelegenheit!
Treesa seufzte. »Rachel, wenn so viel Antimaterie in Camp Clarke freigesetzt würde, dann wäre es mit Camp Clarke vorbei. Ein Transporter wie der, den Gabriel benutzt hat, um die Zuflucht hierher zu holen, ist mit weniger als einem Glas voll fast bis zur Sonne und wieder zurückgeflogen.«
»Also würde es uns vernichten.«
»Das ist nicht das Problem, denn dazu wird es nicht kommen.«
»Dann erklär mir, warum nicht.«
Treesa und Ali verfielen in eine weitschweifige Erläuterung der Konstruktionsweise des Teilchenbeschleunigers und des Vorganges, mit dem die Antimaterie isoliert und in magnetischen Vakuumflaschen gelagert wurde. Jede enthielt lediglich eine kleine Menge. Es existierte ein spezielles Verfahren, um den Stinger am Heck der John Glenn aus den Vakuumflaschen zu befüllen. Schon allein dieser Vorgang würde eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Diese Erklärungen stimmten Rachel nur wenig froher.
»Noch einmal – wieso könnt ihr den Beschleuniger nicht irgendwo anders bauen?«
Treesa stotterte: »Aber … das … das ist der Zweck, zu dem wir Selene erschaffen haben.«
»Es gibt noch andere Monde. Habt ihr Selene nicht erschaffen, um hier Produktionsmittel zum Aufbau einer Industrie herzustellen?« Rachel wandte sich hilfesuchend an Bruce. »Deine Kinder leben hier, Bruce! Kümmert es dich den überhaupt nicht, dass … dass Selene womöglich explodieren könnte?«
»Natürlich kümmert es mich«, erwiderte er gelassen. »Aber, Rachel, der einzige Grund dafür, dass Selene überhaupt existiert, ist der Teilchenbeschleuniger. Ich möchte noch erleben, dass die John Glenn von hier abreist. Ich komme von der Erde; ich weiß, wieso wir weiterfliegen müssen. Ich werde hierbleiben, bei meinen Kindern, und ich werde hier sterben, aber die John Glenn muss sich mit dem Rest der Menschheit wiedervereinigen.«
Rachel schaute sie der Reihe nach an und fühlte sich alleingelassen. Keiner wollte sie unterstützen? War sie verrückt? Nicht, wenn sie den Sachverhalt richtig verstanden hatte.
Ali sagte: »Überleg doch mal, Rachel! Diese ganze Sache ist niemals ein Geheimnis gewesen. Wir wollten uns mit dir treffen, um mit dir darüber zu reden« – mit anderen Worten: Wir wollten persönlich mit dir sprechen, und nicht durch Untertan - »weil wir uns schon gedacht haben, dass du trotz allem noch Angst haben könntest. Aber das solltest du nicht. Deine Sorgen sollten immer noch der Frage gelten, wie die Mondkinder eine funktionsfähige Gesellschaft errichten können, und wie man den Rat davon überzeugen kann, den Aufbau einer funktionsfähigen Gesellschaft zu fördern – damit ihr nicht eine Generation, nachdem wir hier weggehen, ausgelöscht sein werdet. Damit ihr Selene zusammenhalten könnt. Wir wollen, dass ihr hier auf Selene eine Chance habt!«
Rachel blinzelte verwirrt. Wie konnten die anderen sie so tatkräftig unterstützen, mit ihr in so vielen Dingen einer Meinung sein und trotzdem nicht erkennen, wieso diese Sache von elementarer Wichtigkeit war? »Dann tut nicht etwas so Gefährliches auf dem Grund und Boden, auf dem ich lebe.«
Treesa sah sie nur an. »Aber getan werden muss es, so oder so.«
Ali schloss sich ihrem Standpunkt an. »Es wird ausreichend sicher sein.«
Rachel stand auf. »Ihr habt gesagt, ihr wollt, dass die Mondkinder auf Selene Mitspracherecht haben. Aus diesem Grund habt ihr so viele Risiken auf euch genommen – um mir zu helfen, die Mondgeborenen Dinge zu lehren, die die anderen Räte ihnen nicht beibringen werden. Nun, ich nutze die mir gegebenen Fähigkeiten, um diese Frage zu stellen. Wieso kann man den Teilchenbeschleuniger nicht auf irgendeinem anderen Mond bauen? Es gibt schließlich genügend davon.«
Ali schüttelte den Kopf. »Keiner von uns sitzt im Hohen Rat.«
»Befürwortet Gabriel dieses Vorhaben? Ich meine, unterstützt er es wirklich, oder macht er einfach nur dabei mit?«
»Er ist kalt«, sagte Ali lediglich.
»Die Beschränkungen, mit der KI über dieses Thema zu reden – sind sie jetzt aufgehoben?«
Treesa sah müde aus, doch sie lächelte über die Frage. »Ja. Ich werde Untertan anweisen, deine Fragen zu beantworten.«
In dieser Nacht lag Rachel reglos in ihrem Bett und lauschte dem sanften Schnarchen
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