Harlekins Mond
Ratsmitglied gegen irgendjemanden die Hand erhoben hatte.
Justin kam den Weg heraufgerannt und kam schlitternd vor Rachel zum Stehen. Er formte mit dem Mund das Wort »Nein!«, ließ sich neben Jacobs Leichnam auf die Knie fallen und berührte das Gesicht seines Zwillingsbruders.
Zwei Ratsangehörige – das medizinische Notfallteam – schoben Justin und Rachel beiseite. Justin wollte sich zur Wehr setzen, und Rachel flüsterte ihm ins Ohr: »Tu es nicht! Nicht jetzt! Warte!« Sie hielt Justins Hand fest und blieb an seiner Seite, während sie zusah, wie das medizinische Notfallteam Jacob die Augen schloss und seinen Leichnam auf eine Trage hob.
Star sah besorgt aus, als sie vor ihnen stehen blieb. »Ich brauche einen Zeugen.«
Rachel warf einen Blick zu Kyle hinüber, der bei Beth stand und schützend den Arm um sie gelegt hatte. Er würde das übernehmen müssen. Er nickte, und Rachel fasste mit ihrer anderen Hand um Beths herum, um sie von Kyle fortzuziehen.
Justin zitterte.
Star schaute ihn an und sagte: »Du kommst auch mit!«
»Wieso?«, fragte Rachel. Sie hatte keine Ahnung, was Justin tun würde. Sie konnte seine Wut spüren.
»Ich will ihn irgendwo haben, wo ich ihn im Auge behalten kann.«
Rachel nickte. »Schickt ihn möglichst bald wieder nach Hause. Mein Vater ist krank; er wird auf ihn angewiesen sein.«
Star lächelte schwach; sie sah erschöpft aus. »Ich werde es versuchen, Rachel, aber versprechen kann ich nichts.«
Kyle kam herüber und blieb neben Justin stehen. »Wir gehen zusammen«, sagte er.
Justin nickte und bewegte sich dann wie von unsichtbaren Fäden gezogen hinter dem medizinischen Notfallteam, das Jacobs Leichnam trug, her. Kyle gab Beth einen raschen Kuss und lief los, um Justin einzuholen. Star schloss sich an, und bald darauf hatte sich der Weg nahezu geleert.
Wieso waren nicht alle gekommen? Wusste denn niemand Bescheid? Rachel trat um die Blutlache und die Glasscherben herum und nahm Beth bei der Hand. Sie fühlte sich, als wandle sie durch einen Traum.
Sie war nicht dabei gewesen, als Ursula starb. Sie erinnerte sich daran, wie unwirklich ihr Ursulas Tod vorgekommen war … doch sie hatte Jacobs schlaffes Gesicht gesehen, und auch all das Blut.
Rachel stützte den größten Teil von Beths Gewicht, während Beth an ihrer Schulter schluchzte. Rachel schwirrte der Kopf. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, nicht darüber nachdenken, wie man Jacob … wie Jacob gestorben war. Blutverlust durch den Schnitt am Glas hatte Jacob das Leben gekostet, doch zuvor war er mit einer Waffe betäubt worden. Ein Aufblitzen in Apollos Licht, ein Moment der Unaufmerksamkeit, und Jacob war – fort.
Rachel wurde gewahr, dass sie sich ihrem Haus näherten. Sie führte Beth zur Vortreppe und ließ sie sich dort setzen, war selbst noch nicht bereit, hineinzugehen. Wenn sie ihrem Dad erzählte, was passiert war, würde es das Geschehene dadurch realer machen. Sie wollte niemanden im Haus haben, solange sie es ihm nicht gesagt hatte.
Sie streichelte Beth übers Haar, doch als sie hinsah, stellte sie fest, dass ihre Hände noch immer dick mit schwärzlichem Blut bedeckt waren; Beths Haare waren dort, wo sie sie berührt hatte, klebrig und dunkel geworden. Ohne sich zu bewegen oder zu atmen hielt Rachel einen Moment lang inne und lauschte der alltäglichen Geräuschkulisse des Stützpunkts. Wie konnte jetzt noch irgendetwas alltäglich sein? Sie hatte Star gesagt, es sei ein Unfall gewesen. Was würden die Räte glauben?
Sie behielt weiter den Gehweg im Blick; Gloria und Harry waren die Ersten, die bei ihnen eintrafen. Gloria nahm ihre Tochter in den Arm, und Harry streckte Rachel die Hand hin. Sie ergriff sie. Er warf einen Blick hinunter auf ihre blutige Hand und zog Rachel dann an sich. Sie legte den Kopf an seine Schulter, atmete seinen vertrauten Geruch ein, spürte seine Arme um sich und schluchzte.
KAPITEL 58
ZORN
Es kam Rachel vor, als habe sie eine lange Zeit dort gestanden, geschützt und umschlossen von Harrys Armen, dabei wusste sie, dass es nur Minuten gewesen sein konnten. Sie vernahm das Schlagen von Schwingen, Schritte und Stimmen, die ihren Namen riefen. Sie hielt Harry noch einen Augenblick lang fest, dann holte sie tief und schaudernd Luft, drückte sich von ihm weg, blieb nahe bei ihm stehen, jedoch ohne ihn noch länger zu berühren.
Eine kleine Menschenmenge fand sich zusammen; Andrew war gekommen, gefolgt von Sam und Rudy – die drei blieben dicht
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