Harlekins Mond
beisammen; ihr Zorn stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Da war Bruce, der langsam auf und ab ging, als warte er auf eine Chance zu helfen. Ali, die sich rasch die Schwingen von den Armen riss, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Beinstabilisatoren abzunehmen. Sie trug die Haare offen, eine lange Kaskade von Schwarz, als sei sie beim Flechten ihres Zopfs unterbrochen worden. Sie kam zu Rachel gerannt. »Was ist passiert?«
»Jacob ist tot.« Rachel hasste die Worte, sie spie sie regelrecht aus.
»Was ist passiert?«, wiederholte Ali.
Rachel trat einen Schritt zurück. Gloria hielt Beth noch immer umarmt, doch Beth hatte ihr das Gesicht zugewandt, und ihr Blick bohrte sich in Rachels Augen. Alles wirkte kristallklar, als sei die Welt an einen anderen Ort versetzt worden. Sonnenschein fiel auf die Menge, und ein leiser Wind strich Beth das Haar aus dem Gesicht. »Paul hat ihn getötet. Er hat auf Jacob geschossen, und Jacob ist auf ein Stück Glas gefallen, und er ist verblutet. Niemand hat ihm geholfen; niemand außer mir und Beth.«
Beth trat vor, um Rachel zur Seite zu stehen.
»Weshalb hat Paul auf ihn geschossen?«, fragte Ali. »Ich muss das wissen. Star hat mich zu sich gerufen; ich werde zusammen mit Paul zurück auf die John Glenn geschickt. Ich muss wissen...was passiert ist.« Ali wischte sich ungeduldig einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Es ist wichtig, Rachel.«
»Er ist gestürzt. Sie haben eine von den gläsernen Belüftungsröhren fallen lassen, und Jacob ist von dem Rollwagen gestürzt und auf Terry gelandet.« Rachel machte einen weiteren tiefen Atemzug und rang ihrer Erinnerung Einzelheiten ab. »Jacob hatte ein Stück Glas in der Hand. Terry hat sich daran geschnitten, aber nicht schlimm. Jacob hat versucht aufzustehen, und Paul hat auf ihn geschossen, und dann ist Jacob auf das Glas gefallen und hat sich daran geschnitten.« Rachel hielt ihre blutigen Hände hoch. »Er hat sich daran die Kehle durchgeschnitten. Er ist verblutet, Ali, und niemand hat es verhindert. Ich habe versucht, die Blutung zu stoppen, aber ich hatte nur meine Hände.«
Ali ergriff Rachels Hände und schaute sie sich an, drehte sie herum; sie legte die Stirn in tiefe Falten. »Er muss ziemlich schnell verblutet sein.«
Rachel schluckte, als sie die Szene im Geiste vor sich sah. »Aber Ali, alle sind zuerst zu Terry gegangen. Star hat sich zuerst um Terry gekümmert, und er war kaum verletzt.«
Alis Stimme war leise. »Hat Star das gewusst?« Sie hatte den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und ihr Blick bohrte sich geradewegs in Rachels Augen und verlangte Antworten.
»Terry ist wieder aufgestanden, Jacob nicht.«
»Gibt es sonst noch irgendetwas, das du mir sagen kannst?«
»Nein … ich muss gehen und es meinem Dad sagen. Ich will nicht, dass er es von irgendwem anders erfährt.«
»Okay.« Ali ließ Rachels Hand los und umarmte sie rasch und fest. »Ich würde bei dir bleiben wenn ich könnte, aber die wollen mich jetzt dort oben sehen, und ich … ich muss gehen. Verstehst du?«
»Ja.« Rachel schluckte, und die Worte stockten ihr in der Kehle. »Ich verstehe. Du wirst von ihnen dazu gezwungen.«
Ali erwiderte offen Rachels Blick; ihre Stimme zitterte ein wenig. »Es tut mir leid. Es tut mir ehrlich leid.« Sie griff nach ihren Schwingen.
Rachel wandte sich um. Gloria und Harry standen beisammen. Bruce blieb in der Nähe der beiden. Andrew, Rudy und Sam beobachteten Rachel eingehend. Andrew fing ihren Blick auf; in seinen Augen stand eine Mischung aus Zorn und Schmerz. Bestimmt würde er nicht ausgerechnet jetzt losschlagen – nicht, solange Ali hier war.
»Bitte bleibt draußen!«, sagte sie laut zu ihnen. »Ich muss mit meinem Dad sprechen.« Harry würde dafür sorgen, dass sich die Leute daran hielten. Rachel öffnete die Tür und ging ins Haus.
Als sie eintrat, drückte sich ihr Vater auf der Couch keuchend in eine sitzende Haltung hoch. Rachel blieb neben ihm stehen. »Daddy?«
»Was hast du da überall an den Händen?«
»Blut. Bleib sitzen, Dad, ich werde mir die Hände waschen, und danach erzähle ich dir, was passiert ist. Bitte! Ich muss mich erst saubermachen.« Ihr schnürte sich die Kehle zu.
»Es sind Leute draußen«, stellte er fest. »Ich habe Alis Stimme gehört, ich habe jemanden weinen gehört, und ich habe einiges von dem gehört, was du gesagt hast.«
»Ja …« Wie viel hatte er mitbekommen? Rachel trat an die Spüle und ließ sich Wasser über die Hände
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