Harlekins Mond
mit Untertan reden. »Gloria, ich muss gehen. Ich muss herausfinden, was in der Zwischenzeit passiert ist. Kannst du den beiden solange Gesellschaft leisten?«
Gloria schluckte, dann nickte sie.
»Und danke. Danke dafür, dass du hier bist!«
»Du bist immer für mich da gewesen«, sagte Gloria. »Das hier ist nicht der Rede wert. Wir würden alle mehr für dich tun, wenn du uns nur lassen würdest.«
»Ich danke dir.« Rachel brachte ihre Tasse zum Spülbecken. Gloria hatte das ganze Blut weggewaschen. »Ich bin bald wieder zurück.«
»Ich kümmere mich um deinen Vater. Wir werden dich holen, falls Dylan zurückkommt, oder Justin.« Irgendwann im Laufe des späten Nachmittags hatten sämtliche Armbandgeräte ihre Funktion eingestellt. »Weißt du schon, wo du hingehen wirst?«
»Nein. Ich weiß auch noch nicht, wie lange ich weg sein werde. Ich kann nur nicht mehr hier herumsitzen und warten. Ich muss nachdenken, ich muss verschiedene Leute aufsuchen, und ich muss entscheiden, was als Nächstes zu tun ist.«
»Pass auf dich auf«, sagte Gloria.
Rachels Dad hatte die gleichen Worte benutzt, als sie vor dem Unfall aus dem Haus gegangen war. Rachel erschauderte. »Okay.«
Sie zog beim Hinausgehen die Tür hinter sich zu, und ihr wurde klar, dass sie wirklich nicht wusste, wohin sie gehen wollte. Es war dunkel geworden, und niemand wartete hier draußen auf sie. »Untertan?«, flüsterte sie in die Nachtluft.
»Ja?«
»Was ist in der Zwischenzeit passiert?«
»Paul und Ali sind vor einer Stunde zur John Glenn aufgebrochen.«
»Wem haben sie die Schuld gegeben?«
»Sie?«
»Der Rat.« Bei der KI musste sie sich präziser ausdrücken. »Ich weiß nicht … Star? Was hat Star gesagt?«
Untertans Stimme in ihrem Ohr klang unverbindlich, als fasse er eine lange Reihe von Gesprächen zusammen. »Der Rat hat beschlossen, das Geschehene als eine Abfolge unglücklicher Zufälle zu werten. Paul ist nicht unter Anklage gestellt worden. Star macht sich Sorgen darüber, was hier passieren könnte und wie ihr Mondgeborenen reagieren werdet. Sie lässt Camp Clarke beobachten und hat zusätzliche Wachen aufgestellt. Sie hat beschlossen, den normalen Betrieb weiterlaufen zu lassen und abzuwarten, ob sich die Situation wieder beruhigt. Es sind zusätzliche Beobachter eingesetzt worden.«
Rachel ging in Richtung der Gewächshäuser und der Gartenparzellen. Sie wollte den Beobachtern aus dem Weg gehen. Diese würden sich vornehmlich in der Stadt aufhalten. Vielleicht würden andere Mondgeborene die Gewächshäuser aufsuchen. »Bist du in Gefahr, entdeckt zu werden?«
»Im Moment konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf Daten.«
»Gibt es irgendeine Reaktion von Seiten des Hohen Rates?«
»Nein. Die Hohen Räte hüllen sich nach wie vor in Schweigen. Ich habe gehört, wie Star zu ihnen gesagt hat: ›Wenigstens haben wir nur einen der Mondgeborenen verloren. Es hätte schlimmer kommen können.‹«
Rachel blieb stehen und verharrte völlig reglos. Untertans seidige Stimme redete in ihrem Ohr monoton weiter, doch sie nahm sie nicht länger wahr. Sie schloss die Augen, und es kam ihr vor, als drücke die ganze Last auf ihr noch stärker als sonst. Die Aussicht, dass die Räte fortgehen würden. Dass die Räte nicht fortgehen und die Spannungen hoch bleiben würden. Die Art, wie sie, ihre Freunde und ihre Familie überwacht und zurückgesetzt wurden. Die Antimaterie. In ihrem Kopf hörte sie wieder und wieder die gleichen Worte: »Wir haben nur einen der Mondgeborenen verloren. Nur einen Mondgeborenen. Nur einen Mondgeborenen.«
Rachel fand sich am Rand eines Karottenackers wieder. Sie konnte das frische grüne Kraut riechen, den satten Duft der Erde. In der Dunkelheit ließ sie sich zu Boden sacken und beobachtete die hellen Lichter eines Meteorschauers, die über ihr am Himmel brannten. Rachel dachte an Ursula, und im Geiste flüsterte sie ihrer Freundin zu: »Du hattest recht, mein Kleines; du hattest recht damit, dem Rat nicht so zu vertrauen, wie ich es getan habe.« Dann legte sie den Kopf zwischen ihre angezogenen Knie, rollte sich zu einer so kleinen Kugel zusammen, wie sie nur konnte, und zitterte. Sie haben meinen Bruder umgebracht, dachte sie, und es kümmert sie nicht einmal!
Eine Hand berührte sie am Arm, und sie blickte auf, in der Erwartung, Dylan zu sehen. Stattdessen war es Andrew, der hinter ihr stand. Er sagte: »Es tut mir leid um Jacob.« Seine Stimme klang grimmig.
Rachel nahm seine Hand
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