Harlekins Mond
Gabriel an, der gleich hinter ihr stand. Wenn sie ihn fragte, würde er wohlmöglich nein sagen. Und Anführer erschufen die Zukunft. Sie wandte sich wieder ihrem Vater zu. »Ich werde bleiben. Und wenn Gabriel mich braucht, kann er vorbeikommen und mich holen!«
Gabriels Stimme hinter ihrem Rücken klang flach. »Ich hole dich übermorgen ab.« Sie drehte sich um und wollte ihm danken, doch Gabriel wandte sich bereits ab, und sie konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen. Sie schluckte und wandte sich wieder ihrem Dad zu.
Seine Augen waren geweitet. »Du hättest ihn fragen müssen.«
Sie nahm seine Hand und sagte: »Gehen wir.«
Frank drückte ihre Hand und lehnte sich näher zu ihr herüber. »Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
»Das hoffe ich auch.« Sie wünschte, sie wäre noch in der Lage gewesen, Gabriels Gesicht zu sehen, um sagen zu können, ob er wütend auf sie war. Rachel folgte Frank aus dem Gebäude. Der gepflasterte Weg, den sie nahmen, war breit genug, dass sie nebeneinander hergehen konnten. Straßenlaternen warfen runde Teiche aus Licht auf den Boden, durch die sie hindurchgingen, während sie einander weiter bei der Hand hielten. »Also -erzähl mir von Kara«, sagte Rachel.
»Nun, der Rat wollte immer, dass ich mehr Kinder hätte, aber … aber ich hatte immer noch gehofft, deine Mom würde zurückkommen.« Er sah sie fragend an.
»Ich konnte nichts herausfinden, außer, dass sie in dem gleichen Zustand ist, in dem ich mich befunden habe – in einem todesähnlichen Schlaf, während das Leben um einen herum weitergeht. Niemand wollte mir etwas Genaueres erzählen.«
Frank runzelte die Stirn. »Die ersten paar Jahre habe ich allein gelebt. Am Anfang hieß es, du kämst nach drei Monaten wieder, und wir haben einander die ganze Zeit geschrieben. Dann sollte es noch ein weiteres Jahr werden, ein Jahr kalt, und –« Sie fühlte sein Schaudern. Mit den Toten redet man nicht. »Es war ein schweres Jahr, und es wurde noch schwerer, als es vorüber war. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Niemand hat mir irgendetwas erzählt. Als ich dann nachgefragt habe, hieß es nur, dass sie dich irgendwann wieder aufwärmen würden.« Er nahm ihre Hand und drückte sie so fest, dass es wehtat. »Genau das Gleiche haben sie damals auch von Kristin gesagt.
Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich zu entscheiden, mit jemand anderem zusammenzuleben. Kara war eine jener Erdgeborenen, die heruntergebracht wurden, um beim Bau weiterer Schutzräume zu helfen; zwischen den Eruptionen war nicht viel Zeit, um das zu erledigen. Ich wusste, dass ich kurz davor stand, dass mir die Wahlmöglichkeiten ausgingen, und außerdem wurde mir das Alleinleben schwer.« Er räusperte sich. »Ich wurde auch damit beauftragt, bei den neuen Gebäuden zu helfen, und Kara und ich sind gut miteinander ausgekommen. Sie bringen einen nicht aktiv zusammen, aber sie erwarten es, das merkt man einfach. Sie brauchen hier Kinder, damit später einmal genügend Arbeitskräfte vorhanden sind, um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen. Ich hatte Angst, mir würden die Wahlmöglichkeiten ausgehen, wenn ich mich nicht beeile und meine eigene Entscheidung treffe; außerdem war ich einsam.« Er drückte erneut ihre Hand. »Kara und ich haben einen Zehn-Jahres-Vertrag geschlossen, als sich herausgestellt hat, dass sie mit den Zwillingen schwanger war.« Er sah sie unsicher an, als bitte er sie nachträglich um ihre Zustimmung.
Rachel nickte leicht. »Erzähl weiter.«
»Kara ist schon in Ordnung. Sie hat sich an ihren Vertrag gehalten und ist bei uns geblieben. Sie ist Erdgeborene. Sie dachte, sie würde auf Ymir aufwachen, aber so war es natürlich nicht. Sie hat sich ganz gut angepasst, aber sie will zurück aufs Schiff. Die meisten Erdgeborenen sind wie Kara – sie sind überrascht und denken sich, ›das ist nicht das, wozu ich bestimmt war‹. Manche von ihnen sind freundlich zu uns, andere bleiben unter sich.«
Er ging eine Weile stumm neben ihr her, wirkte, als wäre er irgendwo weit entfernt. Rachel betrachtete ihn genauer. Er war älter geworden, doch sie spürte, dass mehr dahintersteckte als das. Er machte auf sie irgendwie den Eindruck, als habe er weniger Hoffnung; als sei er tief in seinem Innern unglücklich und müde. Doch dann blickte er sie an, und seine Miene hellte sich wieder auf.
»Rachel, warte ab, bis du die Kinder siehst … die Jungs, Jacob und Justin, sind neun – hatte ich schon gesagt, dass sie
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