Harlekins Mond
nachzudenken. Insbesondere, da auf mir nicht so viel Verantwortung lastet wie auf dem Rest der wachen Räte. Also denke ich darüber nach, worin deine wirklichen Probleme bestehen.
Diese Reise hatte den Zweck, uns als Spezies zu retten. Das ist bei weitem wichtiger als wir beide; es ist wichtiger als jeder einzelne von uns. Im Augenblick meinst du, das Leben sei hart mit dir umgesprungen. Nun, ich habe kein Mitleid mit dir.«
Rachel zuckte zusammen. Treesa lachte. »Hör mir erst einmal weiter zu. Was hier auf dem Spiel steht, ist mehr als dein persönliches Leben, oder meines, oder das von irgendeinem anderen Mitglied des Rates oder des Hohen Rates. Es ist an der Zeit für dich, erwachsen zu werden.«
Rachel war es verdammt noch mal leid, von jedermann belehrt zu werden. Sie wandte sich von Treesa ab und starrte hinaus in den Garten.
Die alte Frau sagte: »Du hast deine Liebe verloren, während du schliefst. Du hast ihn verloren, weil er jetzt doppelt so alt ist wie du, und weil er jetzt jemand anderen liebt. Das alles ist dir im Laufe eines Tages passiert. Es kommt einem unwirklich vor, nicht?«
»Ja.«
Treesa ging um sie herum, bis sie vor ihr stand. »Nun, ich bin nicht von dem Aufwärmvorgang missgestimmt. Ich bin missgestimmt wegen der Situation, die ich vorgefunden habe, als ich aufgewacht bin. Vielleicht bin ich inzwischen nicht mehr missgestimmt; vielleicht hat Astronaut mir so weit geholfen, dass ich nur noch ein bisschen … übellaunig bin.« Ein schiefer Ausdruck des Vergnügens zeigte sich kurz auf Treesas Zügen.
»Ich habe den Mann meines Lebens ebenso verloren wie du Harry verloren hast, nur auf schlimmere Art. Eines Tages bin ich aufgewacht, und wir waren hier. Mein Harry hieß Douglas. Dougie Glass war Besatzungsmitglied auf der Leif Eriksson, einem unserer beiden Schwesterschiffe. Als wir am Ende für verschiedene Schiffe ausgelost wurden, haben wir uns entschieden, nicht dagegen anzugehen … Schließlich ging es ja nur um eine effektive Lebenszeit von ein oder zwei Jahren – ein oder zwei Jahr wach und lebendig, und eine Vielzahl von Jahren kalt und wartend und wie tot füreinander im Verlauf einer Zeit, von der wir nichts fühlen oder wahrnehmen würden. Aber die Leif ist weitergeflogen und hat es wahrscheinlich geschafft bis zum« – sie schloss einen Moment lang die Augen, als sie sich etwas ins Gedächtnis rief – »zum HDC 212776, und hat den zweiten Planeten zu Ymir umgeformt. Aber die John Glenn ist unterwegs auf der Strecke geblieben. Zu viel kosmische Strahlung, ein Fehler in der Antriebskonstruktion, und wir haben für den Weg hierher fast unsere gesamte Antimaterie verbraucht.«
»Wieso ist die Leif Eriksson nicht auch –«
»Wir haben unsere Basis in der Nähe des Neptun verständigt. Die wiederum haben die Leif davor gewarnt, das Staustrahltriebwerk mit Volllast zu fahren.«
»Oh.«
»Die Lewis & Clark war noch nicht einmal abgeflogen. Die Mannschaft hat die Reparatur im Erdorbit durchgeführt. Wir haben noch etwas davon mitgehört, bevor die Verbindung abgerissen ist. Nach unseren optimistischsten Schätzungen ist die Lewis & Clark als Erste an ihrem Ziel eingetroffen, die Leif ein paar hundert Jahre später, und …« Ihre Stimme verklang.
»Und so haben Douglas und ich einander im Zeitstrom verloren.« Treesa starrte zum anderen Ende des Gartens hinüber, als gäbe es dort etwas sehr Wichtiges zu sehen. Rachel war nicht einmal sicher, ob sich Treesa ihrer Anwesenheit überhaupt noch bewusst war, bis sie fortfuhr. »Eines Tages gelangen wir vielleicht zum Ymir, und wenn wir dort eintreffen, werden wir vielleicht feststellen, dass die Leif Eriksson und die Lewis & Clark dort auf uns warten. Aber Douglas und ich, wir werden nicht wieder zueinanderfinden. Wir werden nicht dieselbe effektive Lebenszeit gehabt haben.«
Rachel erschauderte. Sie hätte nicht geglaubt, dass es irgendetwas hätte schlimmer sein können, als 20 von Harrys Jahren zu verlieren.
Treesa fuhr fort. »Douglas war ein attraktiver Mann, voll des von guten Willens, und stark. Er war ein kluger Kopf, ganz ähnlich, wie dein Harry ein kluger Kopf ist …« Treesa starrte eine Minute lang ins Leere und widmete sich dann wieder dem Auszupfen von Unkraut. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Meinen Träumen hat die Zeit übel mitgespielt, darum verlege ich mich stattdessen aufs Denken. Aber du hast immer noch Zeit. Vielleicht keine gemeinsame Zeit mit Harry, nicht so, wie du sie dir vorgestellt hattest,
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