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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Treppenhaus ist hell, vor Jahren in mattes Grün gestrichen, keine Graffitis, es sieht beinahe sauber aus. Der Aufzug, keine fünf Meter entfernt, geht auf. Eine alte Frau um die 140, vielleicht aber auch älter, stochert sich mit ihrem Gehstock hinaus und krächzt: »Neger! Neger! Überall nur Neger!« Sie bleibt vor Harold stehen, mustert ihn durch trübe Augen und fragt: »Sind Sie auch ein Neger?« Harold überlegt, doch Melvin schiebt ihn in den Aufzug, der nicht warten will. Die Türen schließen sich, noch bevor er auf die 5 drücken kann. Der Aufzug ruckelt sich klagend aufwärts, beinahe zeitlos, wie ein französischer Film, der kein Ende nimmt, bevor man einschläft. Es sei denn, Jean Gabin spielt mit, da verpasst Harold keine Szene, und wenn er je einen Wunsch frei hätte, würde er im Alter gerne genau so aussehen. Dritter Stock. Der Aufzug hält. Ein kahlköpfiger Mann und eine Bulldogge aus der Vorhölle steigen zu. Der Hund fixiert Melvin, der Mann Harold. Harold fixiert die Aufzugwände, auf denen mithilfe eines Filzstifts Nachrichten hinterlassen wurden. Geistige Sozialhilfeempfänger und Quatsch mit Soße und Liz fickt mit jedem . Auch mit David, die blöde Fotze . Fünfter Stock. Harold und Melvin steigen aus, die Bulldogge und der Mann fahren weiter.
    Den Gang links runter, die zweite Tür auf der rechten Seite. Das Namensschild scheint schwere Zeiten erlebt zu haben, die Buchstaben sind verblasst, an einigen Stellen kaum mehr zu erkennen. Melvin atmet tief durch. Nummer drei also. Wie wird er aussehen? Wie wird er sein? Viel hat er nicht herausfinden können, über Jeremiah Newsom Nummer drei. Mit 35 Jahren die jüngste der fünf Zielpersonen. 1 Meter 78 groß, hager, abgebrochene Frisörlehre. Mit Anfang zwanzig eine kurze Karriere als DJ in einschlägigen Clubs, danach verliert sich jede Spur. Zum Glück ist Melvin operativer Einsatzleiter beim MI 5, wie er der Dame vom Einwohnermeldeamt am Telefon erklärt hatte, die unter Androhung des Verlustes sämtlicher Bürgerrechte auch anstandslos die aktuelle Adresse des Flüchtigen preisgab. Das Umfeld aber lässt nur wenige Spielräume für eine intakte Sozialisation offen. Vielleicht ein gescheiterter Künstler, ein verkanntes Genie, das nun in der anonymen Einsamkeit an seinem Lebenswerk feilt und ein klitzekleines Alkoholproblem hat. Warum nicht.
    Melvin klingelt. Warten. Melvin klingelt erneut. Geräusche. Etwas fällt um. Es klingt nach Scherben. Die Tür geht auf. Melvin erschrickt. Harold auch. Ein Mann steht im Türahmen. Im Unterhemd. Unrasiert. Die wenigen Haare streunen in verquerer Lage auf dem kantigen Schädel. Er trägt Boxershorts mit Comic-Mäusen, die an löchrigem Käse schnuppern. Trotz fehlender Statur wärmen Sportlersocken seine Füße, die in braun-gelb karierten Hausschuhen verschwinden. Die Beine und Arme sind dünn, der Bauch nicht, es sieht aus, als habe der Mann einen Medizinball verschluckt und Probleme mit der Verdauung. Eine Karikatur seiner selbst. Der Mann mustert Melvin und Harold misstrauisch.
    »Wir kaufen nichts.«
    Die Tür knallt zu.
    Melvin klingelt erneut.
    Die Tür geht auf.
    »Wir spenden auch nichts.«
    Die Tür knallt zu.
    Melvin klingelt erneut.
    Die Tür geht auf.
    »Auch nicht für Behinderte.«
    Die Tür knallt zu.
    Melvin klingelt erneut.
    Die Tür geht auf.
    »Muss ich deutlicher werden?«
    »Mr. Newsom ...«
    »Wer?«
    Melvin denkt nach. Hoffnung. »Newsom. Sie sind doch Jeremiah Newsom, oder?«
    »Nein.«
    Halleluja.
    »Aber Sie kennen Jeremiah Newsom?«
    »Nein.«
    »Er muss vor Ihnen hier gewohnt haben.«
    Der Mann denkt nach. Schwer. »Jerry. Ihr meint wohl Jerry. Der wohnt zwei Etagen tiefer. Wir haben die Wohnungen getauscht. Ein Zimmer mehr, wir kriegen Nachwuchs.«
    »Wer ist denn da?«, ruft eine weibliche Stimme aus der Tiefe des Raumes.
    »Keine Ahnung, irgendwelche Pappnasen, die zu Jerry wollen.«
    Schritte, etwas fällt um, Laute, die wie erstickte Flüche klingen und von einem röchelnden Husten ersetzt werden, der allseits nach Endstadium klingt. Die halb offene Tür wird noch einen Spalt breiter geöffnet, etwas lugt hervor, eine Frau. Sie sieht aus, als habe es bei der Zeugung schnell gehen müssen. Irgendwie unvollendet. Ein rotes Unterkleid hält notdürftig die üppigen Reize in Verwahrung und das Haar wird mithilfe eines fliederfarbenen Frottehandtuchs in einem Turban versteckt. Die aschgraue Haut steht in einem jähen Kontrast zu den knallrot geschminkten Lippen und die

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