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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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erforschen und sich des Schmerzes in all seiner Blüte bewusst zu sein. Auch Harold war einst ein Jonny Danger, ein Sportler aus reinem Herzen. Auf Wunsch seiner Mutter. Alle männlichen Mitglieder der Familie waren einer Sportart verpflichtet. Sein Onkel Nathan war sogar fast Olympiasieger. Im Schwimmen. Da Harold tiefes Wasser nur aus sicherer Entfernung verehrt und Schwimmflügel per se indiskutabel sind, wurden die nicht weniger klassischen Sportarten Fechten, Polo und Kricket zu seiner Passion. Aber entweder er fiel vom Pferd oder er verfing sich im Florett oder er schlug einem Sportkameraden mit einem 80 Gramm schweren Hartgummiball ein Auge kaputt, sodass Harolds Mutter meist nur wenige Wochen nach der Anmeldung einen freundlichen Brief des jeweiligen Vereins erhielt, in dem mitgeteilt wurde, dass ihr Sohn einen hervorragenden ersten Eindruck hinterlassen habe, man beim besten Willen aber nicht wisse, was man ihm noch beibringen könne und es sicherlich noch andere Sportarten gäbe, die sein außerordentliches Talent zu fordern vermögen. Die Anmeldegebühr werde natürlich in vollem Umfang rückerstattet. Glückwunsch. Schließlich hatte Mutter ihn auf Anraten Onkel Derringhams in einem Ringerverein angemeldet, um seine maskulinen Gene zu stimulieren, wie es hieß. Das Trikot fand Harold auch ganz hübsch, und auch die ersten Trainingseinheiten verrieten ein theoretisches Geschick bei der Umsetzung der unterschiedlichen Griffe, Hebel und Schwünge. Das Problem war der Gegner. Insbesondere wenn er sich wehrte. So wie bei dem Drei-Städte-Freundschaftswettkampf in der Turnhalle des eingetragenen Vereins für Leibesertüchtigungen und Schmerzpatienten. Harold traf ohne Umwege auf Ivan, der den etwas merkwürdigen Beinamen Kran aus Manchester trug. Sie waren beide elf Jahre alt und ungeschlagen in der Klasse bis 34 Kilogramm. Nur dass Ivan, der Kran aus Manchester, schon 41 Schlachten vorzeitig auf Schulter beendet hatte, es für Harold indes der erste Wettkampf war. Auch sonst waren Gemeinsamkeiten mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Ivan hatte sogar schon Flaum über der Oberlippe. Er hatte richtige Muskeln, und wenn er seinen rechten Mundwinkel diabolisch zurückzog, entblößte er einen Goldzahn, in dem funkelnd die Angst reflektierte, während Harolds Zähne noch überwiegend aus Milch waren. Als wenig hilfreich erwiesen sich auch Trainer Browns Anekdoten über Ivans Kampftaktik. In der Regel wurde der Gegner in den ersten beiden Runden mit diversen Fallrückziehern mürbe gemacht, bis ihm ein finnischer Hüftzug für gewöhnlich das Schulterblatt brach. Zeigte sich der Kontrahent trotz Ungemach kampfeswillig, wurde ihm an sanftmutigen Tagen mit einem einfachen Nackenhebel ein Ende gesetzt, an weniger sanftmütigen mit einem Doppelnelson, der sicherheitshalber die Schultergelenke gleich mit auskugelte. Harold stand nach dem ersten Fallrückzieher, mit dem er selbst als Einleitung geliebäugelt hatte, nicht wieder auf. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm bewusst, wie zerbrechlich der menschliche Körper ist, wie schnell das Dasein auf Erden schon vor der Blütezeit Geschichte sein kann. Gegen Wilbert, die Dampfwalze aus Sheffield, trat Harold dann gar nicht erst an, da die schwere Gehirnerschütterung über einen längeren stationären Aufenthalt behandelt werden musste. Der Familienrat beschloss daraufhin, die Sportlerkarriere auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
    28
    Es ist kein Ghetto. Noch nicht. Aber schön ist anders. Vierzig Mietparteien in dem zehnstöckigen Wohnsilo, das sich als kantig grauer Klotz in den Himmel schraubt. Vierzig Klingelschilder auf Beton. Vierzig abschließbare Keimzellen. Suchen. Zwischen Karimi und Dickenson ein J. Newsom, fünfte Etage links. Noch bevor Melvin die Klingel drücken kann, geht die Haustür auf. Zwei farbige Jugendliche stehen im Eingang. Der kleinere von beiden trägt einen Radiorekorder auf der Schulter. Bässe, die bis in Harolds Mageninneres dringen und dort für Empörung sorgen. Der größere besteht aus reinem Testosteron. Beide tragen viel zu große Kleidung und sehen aus wie in dem Musikvideo, das Melvin sich für ein Referat über die afroamerikanische Kultur in den 1980ern ansehen musste und das seine unerschütterlich antirassistische Haltung zutiefst erschütterte.
    »Yo Mann, rein oder raus?«
    Melvin versucht die Frage zu entschlüsseln, folgt dann aber doch lieber Harold, der an den beiden Jungmännern vorbei ins Treppenhaus huscht. Das

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