Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
die er mit der Leiche mitschickte.
Sybil würde
uns keinen Scheck ausstellen, bis die offizielle Erklärung da war, dass es sich
bei der Leiche um Teenie Hopkins handelte. Deshalb saßen wir mindestens noch
vierundzwanzig Stunden hier in Sarne fest. Vierundzwanzig Stunden ohne
irgendeine sinnvolle Beschäftigung. Wir verbringen sehr viel Zeit mit Warten,
und das ist nicht immer leicht.
»Im Motel
haben sie Pay-TV«, sagte Tolliver. »Vielleicht können wir uns einen Film
angucken, den wir im Kino verpasst haben.«
Aber nachdem
wir uns das Programm durchgelesen hatten, stellten wir fest, dass wir alles,
was uns interessierte, bereits gesehen hatten. Tolliver verschwand, um der
Kellnerin aus dem Diner nachzusteigen. Nicht, dass er mir das gesagt hätte,
aber ich machte mir so meine Gedanken.
Ich war zu
nervös, um etwas zu lesen, aber doch so fit, dass ich die Idee, einfach wieder
ins Bett zu krabbeln, aufgab. In Ermangelung eines besseren Hobbys habe ich es
mir angewöhnt, meine Finger- und Fußnägel zu pflegen. Also holte ich mein
Pediküreset heraus und war gerade dabei, meine Zehennägel in einem tiefen, fast
goldenen Rot zu lackieren, als Hollis Boxleitner an meine Tür klopfte.
»Darf ich
reinkommen?«, fragte er, als ich ihm öffnete. Ich beugte mich zur Seite, um an
ihm vorbeizuschauen und sicherzustellen, dass er nicht mit dem Polizeiauto hier
war. Nein. Obwohl er immer noch Uniform trug, war er mit seinem eigenen Wagen
gekommen, einem knallblauen Ford Pick-up.
»Ich denke
schon.« Ich ließ die Tür offen stehen, um die Sonne hereinzulassen, und der
große Hilfssheriff protestierte nicht. Hollis Boxleitner setzte sich in einen
der beiden Sessel. Ich nahm den anderen, nicht ohne ihm eine gekühlte Dose Limo
aus dem Eisfach anzubieten. Er ließ den Verschluss knacken und nahm einen
Schluck. Ich legte meinen Fuß auf die Tischkante und fuhr mit meiner Pediküre
fort.
»Wie wär's
mit einem Putensteak unten im Restaurant?«
»Nein,
danke.« Es war kurz nach eins. Ich hätte dringend etwas essen sollen, hatte
aber noch keinen großen Hunger.
»Sie sind
doch nicht etwa auf Diät? Sie könnten ruhig etwas mehr auf den Rippen
vertragen.«
»Nein, ich
bin nicht auf Diät.« Ich strich mit dem Pinsel sorgfältig über meinen großen
Zehennagel.
»Ihr Bruder
sitzt bereits dort. Er unterhält sich mit Janine.«
Ich zuckte
die Achseln.
»Wie wär's
mit dem Sonic-Drive-in?« Ich warf ihm einen forschenden Blick zu, aber er
wirkte nur mäßig neugierig.
»Was wollen
Sie?«, fragte ich. Ich mag es nicht, wenn man um den heißen Brei herumredet.
Er sah mich
an und ließ die Limonadendose sinken. »Ich möchte nur ein bisschen mit Ihnen
über Monteen Hopkins reden, meine Schwägerin. Das Mädchen, das wir heute
gefunden haben.«
»Ich brauche
nichts weiter über sie zu wissen.« Es war besser so. Ich wusste genug. Ich
wusste, wie sie ihre letzten Minuten auf Erden verbracht hatte. Etwas Intimeres
gibt es kaum. »Aber eines weiß ich mit Sicherheit«, fügte ich hinzu, denn auch
ich habe meinen beruflichen Stolz. »Die Leiche, die wir gefunden haben, ist die
von Monteen Hopkins.«
Er starrte
auf seine leeren Hände, große Hände mit goldenen Härchen auf den Handrücken.
»Ich habe schon befürchtet, dass Sie das sagen würden.« Er schwieg eine Weile.
»Kommen Sie, lassen Sie uns einen Milchshake trinken. Ich habe mich am Fundort
übergeben müssen, und sogar mein Magen verlangt mittlerweile nach Nahrung. Dann
muss das für Ihren erst recht gelten.«
Ich sah ihn
lange an und versuchte ihn zu ergründen. Aber er war ein Buch mit sieben
Siegeln für mich, denn schließlich lebte er. Letztendlich nickte ich.
Meine
Zehennägel waren noch nicht richtig getrocknet, deshalb stieg ich trotz der
kühlen Herbstluft barfuß in seinen Wagen. Er schien das lustig zu finden.
Hollis Boxleitner war ein kräftiger Mann mit einer schiefen Nase, einem breiten
Gesicht und einem Lächeln, das strahlend weiße Zähne entblößte, obwohl ihm im
Moment gar nicht zum Lächeln zumute war. Sein hellblondes Haar war glatt wie
Flachs.
»Kommen Sie
aus Sarne?«, fragte ich, nachdem wir vor dem Sonic-Drive-in gehalten und er auf
den Knopf gedrückt hatte, um zwei Schokomilchshakes zu bestellen.
»Nein, aber
ich lebe schon seit zehn Jahren hier«, sagte er. »Meine Familie ist hergezogen,
als ich auf die Highschool ging und hier bin ich geblieben.«
»Sind Sie
verheiratet? Ist Teenie daher ihre Schwägerin?«
»Ja.«
Ich
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