Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
der Himmel bedeckt war, machte ich Licht im
Wohnzimmer. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, waren wir auf schnellstem
Weg ins Schlafzimmer gegangen. Deshalb kannte ich mich hier kaum aus. Das
kleine Wohnzimmer sah nett aus und wirkte mit dem Sofa und dem dazu passenden
Sessel sehr gemütlich. Vor dem Sofa stand wie üblich ein Couchtisch sowie ein
kleiner Beistelltisch, der mit einer Lampe, mehreren Zeitschriften, einem Buch
und diversen Fernbedienungen befrachtet war. In Armeslänge davon stand ein
Regal voller Bücher, das meiste waren Liebeskrimis von Jayne Anne Krentz,
Sandra Brown, Nora Roberts und so weiter. Es gab auch ein paar Abenteuer- und
Mysterythriller von Lee Child und Thomas Cook, die wahrscheinlich Hollis
gehörten.
Ich machte
einen kurzen Rundgang durchs Haus, um sicherzustellen, dass ich am richtigen
Ort suchte. Im Schlafzimmer gab es keine Bücherregale, und in einem weiteren
Raum, der als Computer- bzw. Abstellraum diente, standen nur Computerhandbücher
und Videospielanleitungen. In der Küche fand ich mehrere Kochbücher und im Bad
einen Weidenkorb mit Zeitschriften. Ich lief zurück ins Wohnzimmer und ging vor
dem Wandregal in die Hocke.
Laut Hollis
hatte seine Frau eines ihrer alten Schulbücher hervorgeholt. Wetten, dass er
sie noch nicht weggeräumt hatte? Ich täuschte mich nicht. Aus ihrer Schulzeit
hatte Sally Hopkins Boxleitner ein Buch über englische Lyrik, je eine Ausgabe
von ›Julius Cäsar‹und ›Der Kaufmann von Venedig‹ sowie ein Buch über
amerikanische Geschichte behalten. Dann gab es da noch einen Grundkurs in
Biologie, der schon ziemlich zerfleddert war.
Laut Hollis
hatte das Buch einen roten Einband gehabt. Sowohl das Geschichts- als auch das
Biologiebuch waren vorwiegend rot, zumindest was den Buchrücken betraf.
»Was zum
Teufel hast du hier zu suchen?« Ich musste die kleinen Geräusche, die Hollis
beim Nachhausekommen gemacht hatte, unbewusst wahrgenommen haben, weil ich
nicht einmal zusammenzuckte. Er klang ziemlich wütend.
»Ich will
wissen, was Sally in jener Nacht so beschäftigt hat«, sagte ich. »Ich habe
keine zwei Minuten gebraucht, um deinen Reserveschlüssel zu finden. Hier. Und
da ist das Geschichtsbuch. War es das?«
»Warum hast
du nicht gewartet, bis ich nach Hause komme?« Wenn ich mich nicht täuschte,
klang er schon ein bisschen weniger wütend.
»Ich dachte,
du gehst mir aus dem Weg und hättest mich sowieso nicht reingelassen.«
»Und deshalb
hast du beschlossen, einfach bei mir einzubrechen? Du weißt, dass das illegal
ist?«
»Genauso
illegal, wie einen Mann mit gefälschten Beweismitteln ins Gefängnis zu bringen.
War es dieses Buch?«
»Kann schon
sein«, sagte er zerstreut. »Gibt es noch ein rotes?«
»Ja, das
Biologiebuch hier.«
»Das könnte
es auch sein.«
»Gut. Du
siehst im Geschichtsbuch nach und ich im Biologiebuch.«
Ich drehte
den Band um und schüttelte ihn, woraufhin ein Blatt Papier herausfiel. Erst
dachte ich, es wäre eine alte Einkaufsliste oder ein Briefchen, das Sally ihrem
Banknachbarn in der Highschool geschrieben hatte. Doch was ich da gefunden
hatte, war wesentlich weniger eindeutig.
Es war ein
halbes Blatt Papier, auf dem geschrieben stand: »SO, IO, DA, NO.«
»Wenn du das
Buch nicht geschüttelt hättest, wüssten wir, zwischen welchen Seiten der Zettel
gesteckt hat«, sagte Hollis.
»Du hast
recht«, antwortete ich gedankenverloren. »Ich hab's versaut. Sagt dir das
irgendwas?«
»Nein, auf
den ersten Blick nicht. Aber das ist eindeutig ihre Schrift... Sallys Schrift.«
Seine Stimme
bekam einen anderen Klang, der trotz meiner mitgenommenen Verfassung bis zu mir
durchdrang.
»Es tut mir
leid«, sagte ich widerwillig. »Ich weiß, dass ich Dinge aufrühre, die du lieber
vergessen würdest.«
»Nein, ich
versuche nicht, Sally zu vergessen«, sagte er. »Aber ich mache mir auch
Gedanken über meine Zukunft. Und wenn ich daran denke, was ich in den letzten
Tagen so alles erfahren habe, daran, dass Sally ermordet wurde und der
Mistkerl, der das getan hat, frei in dieser Stadt herumläuft, ja mit mir redet,
kommt mir die Galle hoch. Und jedes Mal, wenn ich dich sehe, denke ich, dass
ich unbedingt mit dir schlafen will. Du brichst mehr oder weniger bei mir ein,
und trotzdem würde ich dich am liebsten gleich hier auf dem Boden vernaschen.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
Es war, als habe
er ganz plötzlich einen Schalter umgelegt. Jetzt musste auch ich daran denken.
Ich dachte, dass es mir guttun
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