Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
spürte nur das
ganz leise Prickeln, das darauf hindeutete, dass hier irgendwelche uralten
sterblichen Überreste herumlagen. Ich habe gelernt, dieses Gefühl bei meiner
Suche nach frischen Leichen zu ignorieren. Obwohl der Bereich sich dadurch kaum
änderte, lief ich die Längsseite des Grundstücks ab, das Ergebnis blieb jedoch
dasselbe. Ich schüttelte stumm den Kopf und kletterte wieder in den Cadillac.
Wir fuhren weiter, und Twyla machte uns auf die ein oder andere landschaftliche
Besonderheit aufmerksam. Ich hörte kaum hin, sondern konzentrierte mich
stattdessen auf das, was ich während der Fahrt wahrnahm. Der örtliche Friedhof
versorgte mich mit einem lauten Rauschen, aber wir mussten anhalten, weil man
hier Tylers Kappe gefunden hatte.
Natürlich
lagen hier tonnenweise Tote begraben, und einige davon waren noch sehr frisch.
Es war viel zu kalt, als dass ich die Schuhe hätte ausziehen können, aber ich
verließ mich auf meinen Instinkt und ging zu den neuesten Gräbern. Da lag ein
Herzinfarkt und jemand, der an Altersschwäche gestorben war. Irgendwann ist
einfach Schluss. Das waren die jüngsten Todesfälle. Aber wenn ich mich nicht
täuschte, war Tyler Lassiter schon vor zwei Jahren
verschwunden, sodass ich noch viel mehr Leichen würde überprüfen müssen. Doch
wie sich herausstellte, war keine davon Tyler. Alle
waren diejenigen, die sie laut Grabstein sein sollten. Ich war froh, dass
Doraville nicht größer war und dass einige auf dem neuen Friedhof südlich von
Doraville begraben worden waren.
Wir befanden
uns jetzt ganz im Westen der Stadt, und Twyla fuhr erneut rechts ran.
»Der Mann,
der hier lebt, wurde verhaftet, weil er einen Jungen überfallen hat«, sagte sie
und zeigte auf ein heruntergekommenes weißes Holzhaus, das hinter den
Kletterpflanzen und jungen Bäumen kaum erkennbar war. »Er wurde zigmal verhört.«
Vom Auto aus
spürte ich nichts. Ich stieg aus, ging ein paar Schritte geradeaus und schloss
die Augen. Zu meiner Linken nahm ich ein Summen wahr, ganz weit hinten im Wald,
aber es war das schwache Summen, das ich mit alten Friedhöfen in Verbindung brachte.
Ich hörte, wie Tollivers Fenster nach unten surrte. »Frag sie, ob es da hinten
eine alte Kirche mit eigenem Friedhof gibt«, sagte ich.
»Ja«, rief
mir Twyla zu. »Da hinten ist Mount Ararat.«
Ich stieg
wieder in den Wagen und sagte: »Nichts.«
Twyla atmete
so tief durch, als spielte sie ihre letzte Karte aus. Sie schaltete in den
Drive-Modus, und wir fuhren noch weiter aus dem kleinen Doraville hinaus.
Twylas Navi zeigte an, dass es in Richtung Nordwesten ging, und die Straße
begann anzusteigen. Ich sah zu den Bergen hoch und dachte, dass ich dort Jeffs
Leiche niemals finden würde. Ich hatte keine Lust, in diesen Bergen
herumzuwandern, und schon gar nicht bei diesem Wetter. Kurz kam mir der
egoistische Gedanke: Warum hatte mich Twyla nicht schon zwei Monate früher
angerufen? Oder einen Monat früher? Ich fröstelte, dachte an die beißende
Kälte, den Schnee und daran, dass für die nächsten Tage schlechtes Wetter
angekündigt war. Wir fuhren bergauf, doch noch war die Steigung harmlos.
Und dann
hielt Twyla erneut. Ich sah, wie sie starr auf dem Fahrersitz sitzen blieb,
ganz weiß im Gesicht.
»Hier lag
das Handy«, sagte Twyla. Sie zeigte mit dem Daumen abrupt nach rechts. »Ich
habe die Stelle mit einem Stein markiert, nachdem sie mir Sheriff Rockwell gezeigt hatte.«
Am
Straßenrand lag ein großer Stein mit einem blauen Kreuz darauf.
»Sie haben
ihn ziemlich tief in den Boden gedrückt«, sagte Tolliver.
»Die
Mähmaschinen mussten darüberfahren können«, sagte sie. »Das war vor drei
Monaten.«
Hier dachte
jemand mit.
Ich stieg
aus dem Cadillac und sah mich um, während ich meine Handschuhe anzog. Es war
furchtbar kalt hier oben. Die Madison Road stieg steil
vor uns an, sie war in den Berg zu unserer Linken geschlagen worden. Auf der
anderen Seite befand sich eine mehr oder weniger ebene Fläche, die etwa einen
halben bis einen ganzen Morgen umfasste, bevor das Gelände wieder anstieg.
Darauf stand ein altes Haus, das schon seit Jahren nicht mehr bewohnt war. Das
Grundstück besaß keine geraden Abmessungen, weil es den Hügelumrissen folgte.
Es war lang und stellenweise auch schmal.
Wir hatten
am höchsten Punkt geparkt, und wenn ich einen Schritt weiterginge, würde ich in
einen tiefen Graben fallen. Die Auffahrt zum Haus führte über einen
Abflusskanal, damit das Regenwasser ablaufen konnte.
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