Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
Männer nahmen gegenüber von uns Platz, zwischen uns lag der
Plan.
»Was können
Sie uns sagen, das wir noch nicht wissen?«, fragte Stuart.
Ich war
irritiert, dass er die einfachsten Höflichkeitsregeln vergessen zu haben
schien. Aber dann stellte ich mir vor, wie es war, wenn man die ganze Nacht
über den Biografien der Jungen gebrütet hatte, und zeigte Verständnis für die
beiden Agenten. Ich an ihrer Stelle hätte auch auf überflüssige Floskeln
verzichtet.
»Wahrscheinlich
nichts«, sagte ich. »Ich finde nur Leichen, das kann ich gut, aber ich bin
keine Detektivin und keine Polizistin.«
»Das mit den
Leichenfunden kann unmöglich so weitergehen.«
»Es sind
jetzt vermutlich alle. Zumindest auf diesem Grundstück.«
»Woher
wollen Sie wissen, dass er woanders noch welche vergraben hat?«
»Das
behaupte ich ja gar nicht. Aber es gibt keinen Abgrenzungstermin. «
Die beiden
beugten sich vor und warteten auf eine Erklärung.
»Die
Todeszeitpunkte liegen weit auseinander«, sagte ich. »Es wurde jahrelang
gemordet, mindestens sechs Jahre lang. Und der Junge der McGraws ist erst seit
drei Monaten tot. Wenn der Mörder nicht schon extrem lang aktiv ist, ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass sich alle seine Opfer an diesem Ort befinden.
Kann sein, dass er noch einen früheren Bestattungsort hat. Und er wird mit
Sicherheit einen neuen anlegen. Aber ich bin mir sicher, dass in diesem alle
Opfer der letzten Jahre liegen.« Ich zuckte die Achseln, denn das war eine
reine Vermutung.
Stuart und
Klavin sahen einander an.
»Und noch
etwas: Alle, die dort liegen, wurden auch dort umgebracht«, sagte ich. »Wenn
das also der bevorzugte Ort für die Morde war, liegen auch alle Leichen dort.«
Stuart
wirkte zufrieden. »Ja, auch wir glauben, dass sie alle in dem alten Schuppen
auf dem Grundstück umgekommen sind.«
Ich war
froh, dass wir die schief in den Angeln hängenden Türen damals nicht geöffnet
hatten. Ich wollte gar nicht wissen, wie es dahinter aussah. Durch meine
Begegnung mit den Toten wusste ich mehr, als mir lieb war.
»Gibt es ...
gibt es noch irgendein Grundstück, das ich untersuchen soll?« Ich hatte Angst,
sie könnten Ja sagen, aber Max Stuart schüttelte den Kopf.
»Wir wissen
nicht, wie Sie es anstellen, was Sie tun«, sagte er. »Hätten wir uns nicht
selbst davon überzeugen können - wir hätten Ihnen niemals geglaubt. Aber wir
haben alle Leichen gefunden, und wir haben gehört, wie Sie sie entdeckt haben.
Egal, wie lange wir noch ermitteln - wir können keinerlei Verbindung zwischen
Ihnen und irgendeinem Einheimischen hier feststellen. Also müssen wir glauben,
dass sie irgendeine übernatürliche Gabe besitzen. Wir wissen nicht, wie weit
sie reicht oder wo ihre Grenzen sind. Können Sie tins noch
irgendetwas zu den Jungen sagen?«
Es musste
ihm unheimlich schwergefallen sein, das zuzugeben. Ich wollte automatisch
verneinen, überlegte es mir jedoch anders. Ich würde es ihnen so gut erklären,
wie ich konnte: »Ich sehe den Moment des Todes«, sagte ich. »Ich sehe ihre
Leichen in dem Grab. Warten Sie«, ergänzte ich, schloss die Augen, umklammerte
mit der gesunden Hand die Armlehne meines Stuhls und presste den verletzten Arm
an meinen Körper. Die Kleider waren in das Grab geworfen worden...
»Die meisten
von ihnen trugen Kreuze um den Hals, stimmt's?«, sagte ich. Klavin erschrak.
Stuart sah zur Tafel hinüber, als stünde es dort angeschrieben. »Aber das ist
eine religiöse Gemeinde, es kann also auch Zufall gewesen sein.« Ich sah mir
die Leichen noch einmal an, starrte in die Abgründe meiner Erinnerung. Ach ja,
da war noch etwas. »Knochenbrüche«, sagte ich. »Manche von ihnen hatten
Knochenbrüche.«
»Rühren die
nicht von den Folterungen her?«, fragte Tolliver.
»Nun ja, ein
paar frische schon. Aber mindestens vier hatten sich in der Vergangenheit schon
mal was gebrochen.« Ich zuckte die Achseln.
»Heißt das,
dass alle als Kinder missbraucht wurden? Ist das der gemeinsame Nenner?« Agent
Stuart beugte sich vor, als könne er mir die Antwort so aus der Nase ziehen.
»Was hatten diese Jungen gemeinsam? Warum ausgerechnet sie?«
»Das weiß
ich nicht. Ich sehe, was ich sehe, nur kurz aufblitzen: die Leiche, die
Gefühle, die Situation. Einmal sah ich das Haustier des Toten, vielleicht habe
ich auch aus den Gedanken des Sterbenden darauf geschlossen. Aber denjenigen,
der für den jeweiligen Tod verantwortlich ist, sehe ich nicht.«
»Erzählen
Sie uns einfach
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