Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
nie mehr wiedersehen. Und Chuck Almand erst in ein paar Jahren in den
Nachrichten, wenn man ihn wegen Mordes festnahm. Sein Vater würde weinen und
überlegen, was er falsch gemacht hatte. Hätten wir Doraville erst einmal
verlassen, würde der Alltag wieder einkehren, die Leute würden ihre Toten
betrauern und die Medienvertreter beherbergen. Das örtliche Bestattungsinstitut
würde eine unverhoffte Umsatzsteigerung verbuchen. Dasselbe galt für die Hotels
und Restaurants.
Sheriff Rockwell wäre froh, wenn die letzten Beamten der
Bundesstaatspolizei weg wären. Diese wären ebenfalls froh, Doraville wieder
verlassen und an ihren gewohnten Einsatzort zurückkehren zu können.
Manfred und
seine Großmutter würden wieder nach Tennessee fahren. Irgendwann in den
nächsten Monaten würde Xylda sterben. Manfred wäre allein und würde sich eine
eigene Karriere aufbauen, indem er Ungebildeten und Gebildeten zu
hellseherischen Einsichten verhalf. Manchmal würde er ehrlich sein und manchmal
nicht. Tollivers merkwürdige Aversion gegen Manfred fiel mir wieder ein. Ich
lächelte in mich hinein. Es stimmte, ich fand Manfred wirklich anziehend, auch
wenn er nicht gerade meiner Vorstellung eines schönen Mannes entsprach. Seine
Überzeugung, mir zu gefallen, und seine Begeisterung für mich ... nun, welcher
Frau gefällt so etwas nicht? Das ist eine verführerische Mischung. Aber diesem
Gefühl tatsächlich nachzugeben... da machte es sicherlich mehr Spaß, mit
Manfred nur zu flirten. Obwohl ich gar nicht so viel älter war als er, fühlte
ich mich deutlich reifer.
Ich musste
wirklich dringend aufs Klo. Widerwillig schälte ich mich aus den Decken und
setzte mich auf. Das niedrige Bett war für dieses Manöver nicht sehr gut
geeignet, und es fiel mir schwer, leise zu sein, aber ich wollte Tolliver
ausschlafen lassen, so lange er wollte. Der gestrige Tag war anstrengend für
ihn gewesen, schließlich hatte er sich um mich kümmern müssen.
Endlich war
ich auf den Beinen und eilte ins Bad.
Nachdem ich
mein dringendes Geschäft verrichtet hatte, bürstete ich mir einhändig die
Haare, mit ziemlich schiefem Ergebnis. Das Zähneputzen war von mehr Erfolg gekrönt,
und ich fühlte mich sofort besser. Nachdem ich die Tür so leise wie möglich
geöffnet hatte, sah ich, dass sich Tolliver noch immer nicht regte. Also
tappste ich zum Kamin und warf einen Blick in die Glut. Sorgfältig legte ich
Holz nach und versuchte es so aufzuschichten, dass noch genügend Luft
zirkulieren konnte, genau wie Tolliver es am Vortag gemacht hatte. Zu meiner
Zufriedenheit brannte es gut. Ha!
»Gut
gemacht«, sagte Tolliver schlaftrunken. Ich ließ mich in einen der beiden alten
Sessel vor dem Kamin sinken. Das ausgeblichene Polster roch muffig nach altem
Hund. Natürlich hatte die Familie ihre ausrangierten Möbel hierher gebracht. Es
war sinnlos, sich eine schöne Einrichtung zu kaufen, wenn man sowieso nur zum
Entspannen herkam und sich mit nassen Schwimmklamotten niederließ. Außerdem war
die Hütte nicht einbruchsicher, und wer wollte die Diebe schon mit
Wertgegenständen in Versuchung führen? Ich war Twyla wirklich dankbar, dass sie
uns hier wohnen ließ, unentgeltlich und weit weg von den Reportern.
Gleichzeitig musste ich zugeben, dass ich lieber im Motel gewohnt hätte, allein
wegen des Komforts.
Tolliver
hatte sein Handy an die Steckdose angeschlossen, um den Akku aufzuladen, jetzt
klingelte es.
»Mist«,
sagte er, was ich gut verstehen konnte. Das Letzte, wozu ich jetzt Lust hatte,
war mit jemandem zu reden.
»Hallo«,
sagte er, und danach hörte ich nur noch ein »Ich denke schon« und ein »In
Ordnung«. Fürchterlich unverbindliches Zeug. Er legte auf und stöhnte.
»Das war
dieser SBI-Agent, Klavin. Wir sollen in einer Stunde aufs Revier kommen.«
»Ich brauche
einen Kaffee, bevor ich es mit irgendwelchen Polizisten aufnehmen kann«, sagte
ich.
»Aber klar
doch.« Er stieg aus dem Bett und reckte sich. »Hast du gut geschlafen?«
»Ja,
zumindest habe ich mich nicht die ganze Nacht herumgewälzt.« Ich streckte mich
ebenfalls ein wenig.
»Ich geh
unter die Dusche. Wie sieht es bei dir aus?«
»Ich werde
eine Art Katzenwäsche machen müssen, fürchte ich. Verband und Gips dürfen nicht
nass werden.« Auch das nervte mich allmählich.
»Gut, ich
beeil mich.« Niemand ist so schnell im Duschen wie Tolliver. Im Nu war er
wieder da und rubbelte sich die Haare trocken, während ich mir frische
Klamotten herauslegte. Ich schaffte
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