Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
verhaftet«, sagte Manfred. »Es ist vorbei.«
»Nein«, sagte ich.
»Das glaube ich nicht. Ich glaube zwar nicht, dass man dich aus dem Krankenhaus
entführen wird, aber wenn man dich entlässt, weiche deiner Mutter nicht von der
Seite!«
Er begriff, dass
ich es wirklich ernst meinte, und nickte. Widerstrebend, aber er nickte.
Und dann kam die
Krankenschwester ins Zimmer und meinte, es sei jetzt Zeit für seine Gehübungen.
Ich musste vor dem Krankenhaus auf Tolliver warten.
Barney
Simpson strebte
mit einem Stapel Papiere unterm Arm ebenfalls auf den Ausgang zu, sodass ich
zufällig neben ihm landete.
»Ich dachte immer,
Krankenhausverwalter sind an ihren Schreibtisch gekettet«, sagte ich. »Aber Sie
sind ständig unterwegs.«
»Wenn meine
Sekretärin da wäre, wäre ich auch überwiegend in meinem Büro«, pflichtete mir
Simpson bei. »Aber sie hat frei. Einer der vermissten Jungen war ihr Enkel. Und
da es noch etwas dauern wird, bevor sie den Jungen beerdigen können, hielt ich
es für angebracht, ihr ein, zwei Tage Urlaub zu geben, damit sie ihrer Tochter
beistehen kann.«
»Es tut mir
wirklich sehr leid für die vielen Familien.«
»Nun, wenigstens
eine Familie kann sich freuen. Die Verwandten des Jungen, der unter dem Stall
war, werden heute sicher feiern.«
Er nickte mir zu
und verschwand in einem kleineren Flur, von dem mehrere Büros abgingen. Alle in
Doraville waren von diesen Verbrechen betroffen, auch wenn die Betroffenheit sicherlich
mit zunehmender emotionaler Entfernung von Ground
Zero nachließ
- jenem Todesfeld oberhalb der Stadt.
Jetzt schämte ich
mich fast ein bisschen, Manfred gewarnt zu haben. Er war älter als diese
Jungen. Aber er war klein und attraktiv und im Moment ziemlich verletzlich.
Außerdem war er ein Fremder, jemand, den man nicht so rasch vermissen würde wie
einen einheimischen Jungen. Aber das war Quatsch, denn wenn man logisch dachte,
war es so gut wie unmöglich, dass der zweite Mörder - ein Mörder, der nur mir
Sorgen zu machen schien - sich noch einen Jungen holen würde. Alle waren
wachsam, alle waren vorsichtig, ein jeder war misstrauisch. Gewesen. Jetzt sah die Sache schon wieder anders aus. Der Bösewicht saß im Gefängnis,
sein armer Sohn war tot, das letzte Opfer lag im Krankenhaus und würde
überleben. Ein Happy End sozusagen. Und
wenn man den Leuten glaubte, waren sie nicht mal besonders traurig über den Tod
des armen Chuck. Alle nahmen an, dass er seinem Vater mit den Jungen hatte
helfen müssen und dass er sich aufgrund seiner Schuldgefühle geopfert hatte.
Vielleicht hatte er auf diese Weise Vergebung gefunden.
Doch für mich war
das nur ein Teil der Wahrheit.
Und wenn Chuck
noch leben würde, wäre sein Leben keinen Penny mehr wert. Der
Mittäter seines Vaters würde nämlich vermuten, dass Chuck über seine Identität
Bescheid wüsste, selbst wenn das vielleicht gar nicht der Fall war.
Irgendjemand war also überglücklich, dass Chuck tot war, und hatte gute Gründe
dafür.
Ich dachte an all
das Schöne, das ich in Doraville erlebt hatte, an die netten Menschen, die ich
kennengelernt hatte. In diesem hübschen Bergdorf versteckte sich eine Schlange
im hohen Gras, eine ziemlich fette Schlange. Doraville hatte diese
schrecklichen Vorfälle nicht verdient.
Als Tolliver vor
mir hielt, stieg ich in den Wagen und er fuhr mich wortlos zu Daveys alter
Farm, der Stätte so vieler kühler Gräber.
Klavin und Stuart
waren auch dort oben, und diesmal war ich ausnahmsweise froh über ihre
Anwesenheit. Sie vermaßen das Grundstück und machten noch mehr Fotos von dem
Gebäude, der Straße, dem gesamten Gelände und allem, was ihnen sonst noch
einfiel.
Sie waren
beschäftigt und wollten nicht mit uns reden. Jeder von uns tat so, als seien
die anderen gar nicht da. Hier oben wehte der Wind, und es war kühl, auch wenn
die strahlende Sonne ein wenig Wärme spendete. Ich hatte meine dicke Jacke
weggelassen und einen blauen Kapuzenpulli angezogen. Die Kapuze hatte ich
aufgesetzt und die Hände in die Taschen gesteckt. Tolliver legte den Arm um mich
und küsste mich auf die Wange.
Wie auf ein Signal
hin kamen die beiden SBIler auf uns zu.
»Haben Sie wegen
gestern auf dem Revier schon Ihre Zeugenaussage gemacht?«, fragte Klavin.
»Nein. Das machen
wir, bevor wir die Stadt verlassen. Wir haben nur noch eine Frage und wollten
wissen, ob Sie eine Antwort darauf geben können«, sagte ich. »Ich nehme an, es
wird noch eine Weile dauern, bis die Untersuchungen an
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