Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
sagte ich. »Wenn ich mit Xylda, ihren Launen und
spirituellen Eingebungen aufgewachsen wäre, ginge es mir wahrscheinlich ganz
genauso.«
»Die Umstände,
unter denen wir aufgewachsen sind, waren noch schlimmer.«
Damit hatte er
auch wieder recht. Von Xylda erzogen zu werden, war der reinste Klacks im
Vergleich zu unserer Wohnwagen-Kindheit in Texarkana.
Als ich allein an
unserem Tisch darauf wartete, dass Tolliver unsere Bestellung brachte, musste
ich wieder an das Opfer denken, das Chuck Almand gebracht hatte. Ich versuchte
mir sein rätselhaftes Benehmen zu erklären.
Tolliver stellte
das Tablett auf den Tisch, und ich nahm mein Essen herunter. Das konnte ich wenigstens
problemlos einhändig zu mir nehmen. Ohne zu fragen, riss Tolliver drei
Ketchuptütchen für mich auf und drückte ihren Inhalt auf meine Pommes.
»Danke«, sagte ich
und grübelte weiter. Aber das war nicht der richtige Ort, um Tolliver zu sagen,
was mich bedrückte - nicht hier, wo sich alle Einwohner von Doraville, die
nicht zur Schule gingen oder arbeiteten, versammelten, um Krankheitskeime
auszutauschen und ungesunde Nahrung zu sich zu nehmen. Ich verlor schnell den
Appetit und stapelte meine Überreste auf das Tablett.
»Was ist?«, fragte
Tolliver besorgt, aber nicht ohne einen ängstlichen, vielleicht sogar gereizten
Unterton. Er wollte schleunigst von hier weg. Doraville war ihm unheimlich, und
von den Morden an den jungen Männern bekam er Albträume.
»Wenn wir hier
fertig sind, möchte ich noch mal zurück an den Tatort«, sagte ich. »Es tut mir
wirklich leid«, fügte ich hinzu, als ich seinen Gesichtsausdruck sah, »aber ich muss einfach.«
»Wir haben die
Leichen gefunden«, sagte er so leise wie möglich. »Wir haben getan, was von uns
verlangt wurde. Wir haben unser Geld.«
Wir waren nur
selten anderer Meinung oder beharrten dermaßen stur darauf. Mir war ganz elend.
»Es tut mir leid«,
sagte ich erneut. »Können wir bitte gehen und das in Ruhe besprechen?«
Wir schwiegen
angespannt, während Tolliver den Abfall in die dafür vorgesehenen Behälter warf
und das Tablett obenauf knallte. Er hielt mir im Hinausgehen die Tür auf,
öffnete den Wagen und setzte sich selbstverständlich hinters Steuer -
allerdings ohne den Motor anzulassen. Er saß einfach nur da und wartete auf
eine Erklärung. So was machte er eigentlich nie. Normalerweise machte er, was
ich wollte. Aber jetzt hatte sich unsere Beziehung grundlegend geändert, und
wir mussten ein neues Gleichgewicht finden. Jetzt musste ich Erklärungen
abgeben, was ich auch akzeptierte. Es war schließlich nicht nur angenehm
gewesen, immer allein zu entscheiden. Ich hatte mich nur ein bisschen zu sehr
daran gewöhnt.
Früher hätte ich
einfach gesagt, dass ich noch mal zum Tatort muss, und er hätte mich
hingefahren, ohne Fragen zu stellen. Zumindest meistens. Ich zog mein linkes
Bein auf den Sitz und lehnte meinen Rücken an die Beifahrertür. Er wartete.
»Folgendes.« Ich
holte tief Luft. »In der Version, die wir uns bisher zurechtgelegt haben, hat
Chuck seinem Dad geholfen, die Jungen zu bewachen. Sein Dad führte ihn in die
Familientradition ein und zeigte ihm, wie man Katzen, Hunde und andere
Kleintiere tötet, damit aus Chuck eines Tages genauso ein geschickter
Serienmörder würde wie Papa Tom es war.«
Tolliver nickte.
»Aber das stimmt
so nicht«, sagte ich. »Wenn wir davon ausgehen, dass mindestens zwei Leute
nötig waren, um die Jungs zu überwältigen und unter Kontrolle zu halten...«
»Gacy war allein«,
sagte Tolliver.
Das stimmte. Der
Serienmörder John Wayne Gacy hatte im Raum
Chicago Jungen gefoltert und umgebracht, und zwar ganz allein. Und auf den
Fotos, die ich von ihm gesehen hatte, hatte er nicht besonders kräftig
ausgesehen. »Er hat sie dazu überredet, sich Handschellen anlegen zu lassen,
stimmt's?«, sagte ich. »Er hat ihnen weisgemacht, es seien manipulierte
Handschellen, und er würde ihnen zeigen, wie man sich daraus befreit. Nur dass
es echte Handschellen waren.«
»Ich glaube
schon.«
»Er hat also einen
Trick benutzt, dasselbe könnte Tom auch getan haben«, sagte ich.
»Dahmer war auch
allein.«
»Ja.«
»Deine
Überlegungen überzeugen mich also nicht.«
»Ich glaube
trotzdem, dass sie zu zweit waren.« Zu zweit wäre es wesentlich leichter, einen
gesunden männlichen Teenager zu überwältigen. Vielleicht waren die Jungen auch
deswegen länger am Leben gelassen worden, damit sich zwei Männer mit ihnen
vergnügen
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