Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
konnten, jeder auf seine Art und Weise. »Vielleicht stand einer auf
Sex, der andere auf Folter oder jeder von ihnen auf eine spezielle Kombination
aus beidem. Vielleicht genoss einer auch nur das Sterben. Es gibt so Leute.
Deshalb ließ man vielleicht die Jungen noch eine Weile am Leben, denn dass es
so war, steht fest. Die Mörder konnten also gleich viel Zeit mit ihnen
verbringen.«
»Bist du sicher?«
»Vielleicht nicht
zu hundert Prozent, aber ziemlich sicher.«
»Wie kommst du
darauf?«
»Vielleicht hat es
was mit den Gräbern der Jungen zu tun. Vielleicht bilde ich mir das aber auch
bloß ein.«
»Da war also
Chuck. Und Tom hat Chuck dazu gezwungen, ihm zu helfen.«
»Nein, das glaube
ich nicht. Das wollte ich dir ja gerade erklären, bevor wir über Gacy und
Dahmer gesprochen haben. Die Tierleichen waren nämlich noch sehr frisch. Aber
die Jungs verschwinden seit mehr oder weniger fünf Jahren. Nun, von den Tieren
war keines länger als ein Jahr tot, so wie die aussahen. Die Sommer hier sind
warm, es gibt jede Menge Insekten.«
»Worauf willst du
hinaus?«
»Toms Helfer war
nicht Chuck, sondern jemand anders, jemand, der noch auf freiem Fuß ist.«
Tolliver sah mich
völlig ausdruckslos an. Ich hatte keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging oder
ob er mich verstanden hatte. Ich machte eine ungeduldige Geste. »Was ist?«,
fragte ich.
»Ich denke nach«,
sagte er. Zwischenzeitlich ließ er den Motor an - eine gute Idee, weil es
ziemlich kühl war. Schließlich sagte er: »Und was sollen wir jetzt machen?«
»Keine Ahnung«,
erwiderte ich. »Ich muss zu Manfred und ihm
sagen, dass seine Großmutter von allein gestorben ist. Obwohl jemand anwesend
war, der nichts dagegen unternommen hat.«
»Wie bitte?«
»Jemand hat ihr
beim Sterben zugesehen. Jemand hat keine Hilfe geholt. Viel hätte das
wahrscheinlich auch nicht mehr gebracht, trotzdem...« Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist einfach unheimlich. Sie wusste, dass jemand da steht und zuschaut.«
»Ihr nichts tut.
Aber ihr auch nicht hilft.«
»Ja«, sagte ich,
»jemand, der bloß zusieht.«
»Könnte das
Manfred gewesen sein?«
Ich überlegte. Das
war gar nicht unwahrscheinlich. Manfred hatte in dem Moment vielleicht nicht
realisiert, dass Xylda starb. »Nein«, sagte ich jedoch widerstrebend, nachdem
ich mir die Kontaktaufnahme zu Xyldas Sterbeminuten im Kühlraum des
Bestattungsinstituts noch einmal vergegenwärtigt hatte. »Nein, das war nicht
Manfred. Denn das würde bedeuten, dass Xylda ihren eigenen Enkel nicht mehr
erkannt hätte, und so verwirrt hatte sie nicht gewirkt, als ich Kontakt zu ihr
aufnahm.«
Tolliver setzte
mich vor dem Krankenhaus ab und fuhr kurz tanken. Ich schlenderte durch die
Flure, als gehörte ich zum Personal. Als ich in Manfreds Zimmer kam, stellte
ich fest, dass er allein war. Ich versuchte, nicht allzu erleichtert zu wirken
- Rain war sicherlich sehr nett, aber sie war auch sehr anstrengend -, trat an
sein Bett und nahm seine Hand. Manfred riss die Augen auf und machte Anstalten,
gleich loszuschreien.
»Gott sei Dank, du
bist es«, sagte er, als er begriff, wer ich war. »Was hast du herausgefunden?«
»Deine Großmutter
ist eines natürlichen Todes gestorben«, sagte ich. »Weißt du vielleicht noch,
ob du in der Tür zu ihrem Zimmer gestanden und sie länger angesehen hast?«
»Nein, ich bin
immer gleich reingegangen und habe mich zu ihr ans Bett gesetzt. Warum?« »Als
sie starb, stand jemand in der Tür und beobachtete sie.«
»Hat derjenige ihr
Angst gemacht?«
»Nicht unbedingt.
Nur überrascht. Aber das hat sie nicht umgebracht. Sie lag bereits im Sterben.«
»Und du bist dir
ganz sicher?« Manfred wusste nicht, was er mit dieser lückenhaften Information
anfangen sollte. Mir ging es ganz genauso.
»Ja, sie ist eines
natürlichen Todes gestorben.«
»Da bin ich aber
froh«, sagte er zutiefst erleichtert. »Vielen Dank, Harper.« Er nahm meine
Hand. »Danke, dass du das für mich getan hast. Das war bestimmt nicht einfach
für dich. Aber jetzt können wir auf eine Obduktion verzichten, und sie kann in
Frieden ruhen.«
Dass Xylda in
Frieden ruhte, war völlig unabhängig von irgendwelchen Obduktionen, aber ich
ließ das Thema lieber eines natürlichen Todes sterben, genau wie Xylda.
»Hör mir gut zu«,
sagte ich. Seine Züge verhärteten sich, weil meine Stimme so ernst klang.
»Ich höre«, sagte
er.
»Du solltest hier
nicht allein herumspazieren. Nicht in Doraville.«
»Aber der Typ
wurde
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