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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bühnenarbeiter bitte von der Bühne!«
    Am liebsten hätte Gloha beim Anblick der Miene des Fluchungeheuers laut losgelacht, wäre sie nicht so besorgt gewesen, daß ihre fahrige Improvisation nicht funktionieren könnte. Sie verzog sich ins Innere der Schachtelesche, um ihr Stichwort abzuwarten. In einem runden kleinen Theater wie diesem gab es eigentlich keine Möglichkeit, die Bühne zu verlassen, doch die Schachtel reichte durchaus dafür aus.
    Schweigen breitete sich im Publikum aus, das mittlerweile den größten Teil des Saals ausfüllte. Gloha staunte, wie viele Fluchungeheuer erschienen waren. Da stellte sie fest, daß sich im Publikum viele schwarze Gesichter wiederfanden: Die Vertreter der Schwarzen Welle waren ebenfalls gekommen. Sie wirkten um einiges freundlicher.
    Mark Knochen betrat den mittleren Teil der Bühne. »Ich begrüße – oder sollte ich sagen: ich verfluche? – euch«, sagte er großspurig und nahm für einen Moment seinen Zylinder ab. Ein Murmeln ertönte; Gloha war sich nicht sicher, ob es Zustimmung, Verwunderung oder Empörung anzeigen sollte. »Wir, die Zufallstruppe, freuen uns, euch das Stück ›Die Prinzessin und der Riese‹ präsentieren zu dürfen.«
    Er wandte sich um und machte eine ausladende Geste mit dem knochigen Arm. »Es war einmal zu alter Zeit…« Und schon erschien eine Zeitpflanze neben ihm. Gloha war verblüfft, bis ihr klar wurde, daß die Pflanze nicht echt war – es war Metria, die diese Gestalt angenommen hatte. Zufrieden bemerkte Gloha, daß das Publikum ebenfalls überrascht zu sein schien.
    Mark wartete, bis das Gemurmel nachgelassen hatte. Dann fuhr er fort. »Da gab es einen stattlichen jungen Mann namens Jakob.«
    Trent trat aus der Schachtel und baute sich mitten auf der Bühne auf, an jener Stelle, die vom zusammengekringelten Körper des Riesen markiert war. Er sah genauso aus wie in der Beschreibung.
    »Jakob war arm, aber ehrlich«, sagte Mark. »Seine Familie hatte schwere Zeiten hinter sich…«
    Plötzlich hielt ›Jakob‹ eine Zeitpflanze in der Hand, deren gewaltiges Gewicht ihn zu Boden zu drücken drohte. Aus den Tiefen des Publikums ertönte ein Quieken. Offensichtlich hielt irgend jemand den Witz für komisch, unterdrückte aber gerade noch mit Mühe sein Lachen.
    »Deshalb mußte Jakob das Familienrindvieh in die Stadt bringen, um es für bares Geld zu verkaufen«, fuhr Mark fort. Plötzlich verwandelte sich die Zeitpflanze in eine Lochkuh, der es trotz ihres durchlöcherten Körpers nicht schlecht zu gehen schien. Metria hatte offensichtlich wieder einmal die Gestalt gewechselt.
    Jakob nahm die Kuh am Ohr und führte sie im Kreis über das Feld, also jenen Teil der Bühne, der den Riesenkörper umgab.
    »Aber auf dem Weg in die Stadt begegnete Jakob einer verdächtigen Gestalt«, fuhr Mark fort. Er nahm seinen Ansagerhut ab und ersetzte ihn durch einen Schlapphut. Dann trat er vor, um Jakob abzufangen. Diesmal ertönte ein richtiges Lachen: Es war Contumelo, der einfach nicht widerstehen konnte und darüber lachen mußte, daß Mark eine ›verdächtige Gestalt‹ abgeben könnte.
    »Wo gehst du hin, mein stattlicher, unschuldiger junger Mann?« erkundigte sich der Schlapphut.
    »Ich bringe unsere Familienkuh in die Stadt, um sie dort für bares Geld zu verscheuern, damit wir was zu futtern haben«, erwiderte Jakob unschuldig.
    »Oh, ich habe aber etwas Besseres als bares Geld«, antwortete der Schlapphut. »Ich habe nämlich diese Zauberbohne, die ich dir gern für deine Lochkuh geben würde, denn mir gefällt deine Einstellung.«
    »Ach, das ist aber nett von dir«, meinte Jakob naiv.
    Nun fand der Austausch statt, und Jakob kehrte nach Hause zu seiner Schachtel zurück, die Bohne in den Händen, die im selben Augenblick erschienen war, als die Kuh verschwand. Er betrat die Schachtel. »Mutter, liebste Mutter, schau mal, was für einen tollen Handel ich gemacht habe«, rief er aus der Schachtel.
    »Eine Zauberbohne?« kreischte Gloha in ihrer allerbesten Imitation einer Harpyie, die unsichtbare Mutter darstellend. »Du %#$*!! Idiot!« Sie war ziemlich stolz auf dieses Wort. Es hatte zwar noch keine ausgesprochene Harpyienfluchqualität, war aber fast schon bösartig zu nennen. Sie nahm die Bohne entgegen und schleuderte sie auf die Hauptbühne zurück.
    »Jakobs Mutter war nicht besonders erfreut«, fuhr der Erzähler in prachtvoller Untertreibung fort. »Sie warf den Bohnenkeim aus dem Fenster, und Jakob mußte zur Strafe ohne sein

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