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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gloha brachte sie zu der Glyphe, worauf die Pflanze sich sofort um Füße und Beine des Wesens schlang. Die Schlingarme zogen sich in die Länge, und schon im nächsten Augenblick waren beide Beine in feste Schnürsocken gekleidet. Die Socken versa n ken im Fell, bis es so aussah, als trüge das Wesen von den Knien abwärts ein hübsches schwarzes Zierfell.
    Jetzt mußte Gloha die Glyphe verpacken. Neben dem Stall e r blickte sie einige Bretter. Aus denen könnte sie eine Kiste bauen, groß genug, um das Tier zu umfassen. Gloha ging los, um das erste Brett zu holen. Doch als sie die Hand daran legte, hielt sie inne. Irgend etwas nagte an ihr.
    Sie drehte sich um. Die Glyphe schaute sie an. Ihre Blicke trafen sich. Gloha hatte das Tier beruhigt, und nun vertraute die Glyphe ihr. Aber Gloha traute der Situation nicht.
    Sie ließ das Brett stehen und kehrte in den Gang zurück. »We s halb soll die Glyphe verpackt werden?« wollte sie von SB wissen.
    SB hob den Blick von ihrem Schreibblock. »So steht es auf dem Frachtbrief. Eine verpackte Glyphe.«
    »Das reicht nicht. Weshalb muß sie in eine Kiste gesteckt we r den, wo sie doch zahm ist? Weshalb kann man sie nicht einfach dorthin führen, wo sie hin soll? Es ist grausam, ein Tier in eine Kiste zu packen.«
    SB überprüfte ihren Schreibblock. »Sie ist als Denkmal auf einem schmucken Gebäude vorgesehen. Für den Transport muß sie ve r packt werden.«
    »Das verstehe ich nicht«, erwiderte Gloha und benutzte das Wort, das sie zu vermeiden versucht hatte. Aber sie war wütend. Außerdem war es jetzt ohnehin zu spät, um es rückgängig zu m a chen.
    »Weshalb nicht?«
    »Die Glyphe ist ein prächtiges und empfindsames Tier. Sie ist schon vorher schlecht behandelt worden, so schmutzig, wie sie war. Sie in eine Kiste zu stecken, ist ein Unding! Ich werde nie verstehen, weshalb das notwendig sein sollte.«
    »Was, nie?« fragte SB.
    »Nein, nie!«
    »Was, nie?« wiederholte SB.
    Gloha zögerte. Sie wußte, daß sie im Begriff war, ihre Chance zu verspielen, die dritte Herausforderung zu bewältigen und ins Schloß gelassen zu werden, um den Guten Magier aufzusuchen. Aber sie mochte die Glyphe und konnte es nicht ertragen mitanz u sehen, wie die Kreatur mißhandelt wurde. Und überhaupt – wer ließ sich schon freiwillig auf ein Gebäude stellen? »Nein, nie«, sagte Gloha in einem Tonfall, der alles andere als freundlich war.
    »Dann mußt du ihr Schicksal teilen«, erklärte SB. »Geh und b e steige sie.«
    »Du meinst, auf ihr reiten? Ich bin sicher, daß sie ein prächtiges Reittier abgibt. Aber was soll das, wenn sie doch nirgendwohin geht?«
    »Wo immer sie hingeht oder nicht, wirst auch du hingehen oder nicht. So lautet die Regel. Ich bin hier, um dieser Regel Geltung zu verschaffen.«
    Da überkam Gloha eine realistische kleine Erkenntnis. »Du lei s test deinen Dienst beim Guten Magier ab!«
    »Natürlich. So lautet die Regel.«
    »Was hast du ihm denn für eine Frage gestellt, falls ich das wi s sen darf?«
    »Ich habe ihn gefragt, wie ich Schriftstellerin werde. Er sagte, ich sollte an meiner Syntax arbeiten. Nur daß sich herausstellte, daß es die Sünden-Taxe war. Ich bin wegen dieses langweiligen Auftrags an diesen Schreibtisch gefesselt. Ich muß allerdings sagen, daß es die Phantasie wirklich toll beflügelt. Ich habe zwischen den ve r schiedenen Steuern schon mehrere Kapitel meines Romans ferti g gestellt.«
    »Dann wirst du also doch Schriftstellerin«, meinte Gloha. »Wä h rend du deinen Dienst ableistest.«
    »Ja. Ich glaube, ich werde ein Kapitel über ein geflügeltes K o boldmädchen und ihre Freundschaft zu einem geflügelten Tie r mischwesen schreiben. Meinst du, das gefällt meinen Lesern?«
    »Das hoffe ich. Ich finde, es klingt interessant.«
    »Und jetzt geh und reite die Glyphe.« Es war nicht zu übersehen, daß SB in ihrer Liebenswürdigkeit doch nicht so weit ging, ihre Pflicht zu vernachlässigen.
    Gloha leistete keinen Widerstand. Sie war es zufrieden, das Schicksal der Glyphe zu teilen, wenn sie schon nichts tun konnte, um dem Tier das Leben zu erleichtern. Also kehrte sie in den Stall zurück und bestieg die Glyphe, um zwischen den Flügeln Platz zu nehmen. »Es tut mir leid, daß ich dich nicht retten konnte«, sagte sie und tätschelte den Hals unter der inzwischen wunderschönen Mähne. »Aber ich konnte dich einfach nicht in eine Kiste sperren, egal was davon abhing.«
    Da verschwand die Decke. Der offene Himmel erschien. Die

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