Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Gesundheit sich verschlechtert hatte, nachdem die beiden im Küß-mich-See geschwommen und danach ziemlich viel Küsserei veranstaltet hatten. Vielleicht machte das Wasser ja auch dick.
    Und so verließ eines prächtigen Morgens eine nicht mehr ganz so prächtige Heide die sandige Treibholzhütte des Trottels und kehrte nach Hause zurück, ohne jedoch ihr angesammeltes Selbstmitleid mitzunehmen. Dort fand sie ihre Mutter, die Dorfhebamme und den Storch vor. Sie standen händeringend vor der Hütte. Als sie Heide erblickten, brachen sie in Tränen aus.
    »Weshalb seid ihr denn so traurig, mich wiederzusehen?« fragte Heide, während sie ungeduldig zu ihrem geliebten sauberen, nach Lavendel duftenden Bett hinüberschritt. »Habt ihr nicht von vornherein gesagt, ich würde zurückkommen?«
    Es stellte sich heraus, daß sie gar nicht traurig waren, sondern froh, obwohl ihre Gefühle irgendwie durcheinandergeraten zu sein schienen. Der Storch war besonders erleichtert, weil er schon befürchtet hatte, an die falsche Adresse geraten zu sein. Er legte einen kleinen Jungen in die Wiege und zog wieder ab. In seiner Eile ließ er dabei noch einen Zeitsamen fallen, der eigentlich für eine andere Lieferung bestimmt gewesen war. Der Samen landete im Garten, und daraus wuchs eine erste Pflanze, aus der nicht allzu viel wurde, dann eine zweite, die im Laufe von sechzig Sekunden zu eine Minutenpflanze wurde, nach sechzig Minuten zu einer Stundenpflanze, nach einem Jahr zu eine Jahrespflanze, und so weiter, in der offenkundigen Absicht, irgendwann schließlich zu einer Jahrhundertpflanze zu werden. Da das einige Zeit erfordern würde, trug sie in ihrem oberen Teil einen strahlenden Kristall, um ihre Stellung in der Raumzeit zu markieren. Die Vettel ignorierte die Pflanze, weil sie zu beschäftigt war und glaubte, die Pflanze würde ohnehin keine Rolle spielen. Das hätte sie besser nicht getan.
    Sieben Tage später kamen die Dorfältesten, um an der Zeremonie der Kindsbenennung teilzunehmen. Heide nannte den Jungen Veleno, was ›Vergiftetes Geschenk‹ bedeutete. Die Ältesten besprenkelten Heide mit Regenbogenrosenwasser und verkündeten, daß sie in Anbetracht der jüngsten Ereignisse kein Kind mehr sei, sondern eine Erwachsene.
    Sofort legte sich die Last der Erwachsenenverantwortung auf Heides Schultern. Sie begriff, wie sie den Storch gerufen hatte, damals, als sie wohl doch ein kleines bißchen mehr getan hatte, als nur zu küssen. Heide war entsprechend entrüstet und beschloß, es nie wieder zu tun. Sie schloß sich ihrer Mutter am Webstuhl an, den sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr verließ, und richtete ihre Aufmerksamkeit darauf, selbst zu einer Vettel zu werden. Von da an nannte man die kleine Steinbehausung ›Das Haus der beiden Weberinnen‹.
    Sieben, acht Jahre krochen dahin, und der Säugling schaffte es, zu einem Jungen zu werden. Er war ruhig, ein Einzelgänger, und bewies schon früh sein magisches Talent: Er konnte einfachen Puffmais in regenbogenfarbenen Puffmais verwandeln. Das war eine natürliche Weiterentwicklung des Talents seiner Mutter, die einfache weiße Rosen in regenbogenfarbene Rosen verwandeln konnte. Sie benutzte dieses Talent nicht sehr häufig, weil sie nur selten einer weißen Rose begegnete, aber immerhin verfügte sie über diese Magie. Niemals erfuhr irgend jemand, welches Talent Velenos Vater hatte, von der Trottelei einmal abgesehen; Veleno aber lernte den Mann nie kennen.
    Velenos kleine Welt bestand aus seiner Mutter, seiner Großmutter und der unmittelbaren Umgebung seines Dorfes. Eines Tages erwachte er aus seinem mitsommerlichen Schlummer unter seinem Lieblingsschirmbaum, nahm ein Bad in dem konservativen goldenen Wasserteich rechts vom Dorf, legte seine kühlen weißen, abgetragenen Baumwollkleider an und kehrte nach Hause zurück. Doch er fand alle in furchtbarer Aufgelöstheit um den Dorfbrunnen stehend vor. Die Dorfbewohner schrien, zerrupften sich das Haar, rangen die Hände und weinten bitterlich.
    »Was ist denn los?« fragte er in stockendem Flüstern, weil er befürchtete, daß irgend etwas nicht stimmte. Schließlich war es alles andere als gemütlich, sich das Haar zu zerrupfen, und die Schreie waren gar fürchterlich.
    »Ein schrecklicher Feuerdrache kommt gerade auf das Dorf zu«, erklärte ein Mann mit goldorangefarbenem Haar. Sein Name war Menthol, doch das hatte nichts zu bedeuten und hätte wohl gar nicht erwähnt werden dürfen. »Wie es scheint, kann nichts

Weitere Kostenlose Bücher