Harpyien-Träume
es dazu nicht zu sagen!«
»Dann muß ich dich eben in eine Zelle einsperren, bis du es dir anders überlegst«, entschied Veleno. »Denn du bist meine einzige Hoffnung, die Liebe zu erlangen, und da wäre ich ja ein Narr, wenn ich dich entkommen ließe.«
Gloha begriff, daß dem Mann mit Vernunft nicht beizukommen war. Also flog sie davon und suchte einen anderen Ausgang aus der Burg. Sie entdeckte eine Treppe, die nicht abgesperrt war, und flog die Stufen hinauf, doch sämtliche Fenster waren vergittert, und die meisten Räume, in denen sich wimmernde nackte Nymphen aufhielten, waren abgeschlossen. Eine Flucht schien unmöglich.
Da entdeckte Gloha einen dunklen Gang, der ihr anfangs in ihrer Hast nicht aufgefallen war. Er war niedrig und schmal, so daß sie landen und zu Fuß weitergehen mußte. Er führte sie zu einer Wendeltreppe, die wiederum nach oben führte. Gab es dort vielleicht einen verborgenen Zugang zum Dach?
Gloha gelangte an eine kleine Tür. Sie zog an dem Griff, und weil sie so klein war, konnte sie die Tür sogar in Bewegung setzen. Dahinter befand sich ein geschlossener kleiner Raum mit mehreren vergitterten Fenstern. Das mußte das höchste Turmzimmer der Burg sein, von dem kein Weg außen hinunterführte. Genau von jener Art, wie man sie benutzte, um zögerliche Jungfrauen einzusperren. Wenn sie aber eins dieser Fenster aufbekäme oder auch nur einen der Gitterstäbe herausreißen könnte, brauchte sie einfach nur hinauszuspringen. Denn sie würde dabei ja nicht zu Tode stürzen, sondern könnte ohne Mühe davonfliegen. Die Erbauer dieser Burg hatten offenbar nicht mit einem geflügelten Koboldmädchen gerechnet.
Sie betrat den Raum und schritt zum gegenüberliegenden Fenster, um hinauszuspähen. Sie hatte recht gehabt: Das Zimmer befand sich hoch oben am Himmel, umgeben von herrlich kahler Luft. Gloha ergriff einen der Stäbe. Der klapperte – und im selben Augenblick vernahm sie hinter sich ein merkwürdiges leises Klicken. Nervös drehte sie sich um und sah, daß die Tür zugefallen war.
Beunruhigt lief sie zu der Tür hinüber, um sich zu vergewissern, daß die Tür nicht eingerastet war – doch genau das war der Fall. Sie rührte sich nicht mehr von der Stelle. Gloha steckte in der Falle.
Und sie hörte Velenos Schritte, die sich draußen der Treppe näherten. Der Nymphomane wollte zu ihr, denn er hielt sie für einen zufriedenstellenden Nymphenersatz.
Was konnte sie tun? Sie tat das einzige, was ihr möglich war: Sie legte ihr aufgeregtes kleines Gesicht an das Fenster und stieß Xanths herzzerreißendsten kleinen Schrei aus.
10
Griesbogen
Griesbogen spitzte die Riesenohren. Er vernahm einen leisen Schrei in der Ferne! Ob das Gloha war?
Er blickte in die betreffende Richtung, konnte aber nur bewaldete Berge ausmachen. Wenn Gloha dort drüben sein sollte, würde sie mehrmals schreien müssen, damit er sie orten konnte.
Vorsichtig kauerte er sich nieder, um in seiner Schwäche nicht das Gleichgewicht zu verlieren, umzukippen und dabei einen beträchtlichen Teil des Walds und vielleicht sogar den einen oder anderen Freund zu zerdrücken. Er preßte das Gesicht ans Zelt.
»Ich habe einen Schrei gehört«, sagte er.
Direkt vor seiner Nase platzte die Dämonin Metria in die Feststofflichkeit. »Hast du? Wo denn?«
»Nördlich vom Nymphenberg. Aber ich habe nur Berge und Bäume gesehen.«
Metria verblaßte. Kurz darauf kehrte sie zurück. »Ich habe Trent und Mark Bescheid gesagt. Sie werden dorthin eilen und nachsehen. Kannst du sie in das Gebiet tragen?«
»Ja, ich glaube, dafür reicht meine Kraft noch.«
»Dann steh erst mal auf und zeig mir genau, woher der Schrei kam. Vielleicht kann ich ja erst einmal nachschauen.«
Griesbogen erhob sich unsicher und atmete tief durch, um das Schwindelgefühl zu vertreiben, während er sich aufrichtete. Er war vielleicht ein armseliger Abklatsch von einem Riesen! Dann wies er zu den Bergen hinüber. »Aber der Schrei war sehr schwach. Ich kann mir nicht sicher sein, daß es tatsächlich Gloha war«, warnte er Metria. »Für meine Ohren klingen nämlich alle jungfräulichen Schreie gleich.«
»Deshalb will ich ja auch nachsehen«, sagte sie und verschwand mit einem Zzzrrpp!
Vorsichtig kauerte Griesbogen sich wieder nieder. Bald darauf trafen der Magier und das Skelett ein. Er wiederholte seine Mitteilung.
»Bring uns hin«, sagte Trent nur.
Griesbogen öffnete die linke Hand und legte sie mit der Fläche nach oben auf den Boden.
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