Harpyien-Träume
strampeln und mein Haar herumzuwerfen.«
»Ach ja? Was denn?«
»Beispielsweise, nach meinem idealen Mann zu suchen, um ihn zu heiraten.«
»Das ist kein Problem. Du wirst mich heiraten.«
»Dich heiraten! Du unerträglicher…« Gloha mußte die Feststellung machen, daß ihr die passenden Ausdrücke fehlten. Sie hätte wirklich den Rat ihrer Tante befolgen und die versengenden Harpyienausdrücke lernen sollen. So mußte sie sich mit einem knappen Ersatz zufriedengeben. »Nein!«
»Nein?« fragte er überrascht. »Weshalb denn nicht?«
»Weil ich dich nicht kenne, weil ich dich nicht liebe, und weil ich auch nicht glaube, daß du für irgend jemanden den idealen Mann abgeben würdest! Jedenfalls ganz bestimmt nicht für mich.« Das schien die Situation auch ohne das angemessene Harpyienvokabular deutlich klarzustellen.
Er kam auf Glohas anfängliche Äußerung zurück. »Du bist gar keine Nymphe?« rief er aufgeregt. »Dann kannst du dich ja auch von einem Tag auf den anderen erinnern.«
»Und ob ich das kann«, bestätigte sie zornig. »Und ich glaube kaum, daß ich jemals vergessen werde, wie du mich entführt hast.«
»Dann bist du ganz gewiß diejenige, die ich heiraten muß.«
Das Ganze überstieg allmählich ihr Vorstellungsvermögen. »Hä?« fragte sie wenig intelligent.
»Ich muß nämlich ein Mädchen heiraten, das sich hinterher auch daran erinnern kann, mit mir verheiratet zu sein.«
»Na ja, ich bin jedenfalls nicht dieses Mädchen«, erwiderte sie mit einer gewissen Festigkeit in der Stimme. »Und jetzt laß mich los, bevor meine Freunde kommen, um mich zu befreien. Dann steckst du nämlich in großen Schwierigkeiten.«
»Du hast Freunde?« fragte er überrascht.
»Natürlich!« antwortete sie empört. »Du etwa nicht?«
»Nein.«
Das warf sie schon wieder aus der Fassung. »Was denn? Keine Freunde?«
»Nein, keine.«
Sie traute ihren Ohren nicht. »Keinen einzigen?«
»Na ja, ich hatte mal einen Giftkröterich als Haustier, aber ich glaube nicht, daß das zählt. Denn kaum hatte er mich kennengelernt, ist er davongehopst.«
Gloha begann zu begreifen, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen bösen Entführer handelte. Die Sache lag wohl etwas komplizierter.
»Wie bist du denn in diese Burg gekommen?« fragte sie. Vielleicht war es ja hilfreich, wenn sie etwas über die Hintergründe in Erfahrung brachte.
»Das ist eine kurze und langweilige Geschichte«, antwortete er. »Warum kommst du nicht einfach herunter und heiratest mich, damit wir endlich die Ehe vollziehen können?«
»Ich werde dich nicht heiraten, und schon gar nicht werde ich die Ehe…« Doch ihr nervöses kleines Wesen ließ es nicht zu, daß sie ein derart schlüpfriges Wort über die Lippen brachte. »Und außerdem – wie kommst du überhaupt auf den Gedanken, daß du dir einfach irgendein Mädchen schnappen und es heiraten kannst?«
»Das tu' ich doch schon die ganze Zeit. Jeden Tag hole ich mir eine neue Nymphe, heirate sie und vollziehe mit ihr die Ehe, und am nächsten Tag kann sie sich an nichts mehr erinnern. Dann muß ich wieder mit einer neuen Nymphe ganz von vorn anfangen. Das bringt einen zur Verzweiflung!«
»Na schön, dann erzähl mir mal deine kurze und langweilige Geschichte«, sagte Gloha. Wenn er dazu bereit war, sich von seinem katastrophalen Vorhaben ablenken zu lassen, war sie auch dazu bereit, ihn darin zu ermutigen. »Und vergiß nicht zu erzählen, wie du in diese Burg gekommen bist, warum du sie als Republik bezeichnest und weshalb du überhaupt irgendwelche Leute heiratest. Ich werde mich in der Zwischenzeit in sicherer Entfernung von dir aufhalten, falls du nichts dagegen hast.«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete er. »Es ist ganz nett, zur Abwechslung mal ein halbwegs intelligentes Gespräch führen zu können.«
Wenn er bisher immer nur mit Nymphen hatte reden können, deren Geist ja ziemlich geistlos war, getreu der Theorie, daß keine Kreatur mit einem nymphischen Körper eines Geistes bedurfte, leuchtete es durchaus ein, daß er sich nach einem Gespräch mit einer klugen Person sehnte. Gloha nahm neben einem Sessel auf dem Boden Platz, bereit, sofort davonzufliegen, sobald er versuchen sollte, näherzukommen und nach ihr zu greifen. Bis dahin hörte sie sich seine Geschichte an.
Es war einmal in den Nebeln des Altertums – also vor ungefähr dreißig Jahren – eine alte Vettel. Sie war Weberin und webte von morgens bis abends, um sich und ihre unschuldige
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