Harpyien-Träume
ihn mehr daran hindern, alle hier im Dorf zu massakrieren.«
»Aber weshalb regen sich denn alle so auf?« fragte der Junge verwundert.
Der Mann musterte den Jungen für einen Augenblick. Dann nickte er, als habe er bei sich eine Entscheidung gefällt. »Wie heißt du, kleiner Junge?«
»Veleno.«
»Was für ein hübscher Name. Was hat er denn zu bedeuten?«
»Vergiftetes Geschenk.«
Menthol nickte wieder, als wäre sein Verdacht gerade bestätigt worden. »Ach ja. Wächst auf eurem Hinterhof zufälligerweise eine junge Jahrhundertpflanze, die deiner Familie dabei hilft, die Zeit zu messen?«
»Ja.«
»Nun, Veleno, deine Mutter möchte nicht, daß du jetzt nach Hause zurückkehrst. Eigentlich möchte sie sogar, daß du einen Spaziergang mit mir machst. Tu alles, was ich dir sage, dann bekommst du von mir eine ganze Schüssel voller Süßigkeiten.«
»Toll!« rief Veleno.
Und so nahm Menthol den jungen Veleno an der Hand und führte ihn fort. Zufälligerweise war Menthol ein Kinderdieb. Er erkannte in Veleno ein Kind, das von den Dämonen zu ihrer späteren Unterhaltung gezeichnet worden war, weshalb er ihn auch zu den Dämonen brachte, um eine Belohnung einzuheimsen.
»Und so haben die Dämonen mich in diese verlassene Burg gesperrt«, schloß Veleno. »Und haben zu mir gesagt, daß mir im Leben alle meine Wünsche erfüllt werden sollen, bis auf einen: die Liebe. Die kann ich nur erlangen, indem ich eine Frau heirate, die bereit ist, mich zu heiraten und ihre Liebe mit mir zu teilen. Die Dämonen haben mir allerdings nicht gesagt, daß die einzigen menschlich erscheinenden Frauen hier in der Gegend Nymphen sind. Die aber sind zur Liebe unfähig und können sich von einem zum anderen Tag an nichts mehr erinnern. Allerdings haben die Dämonen erwähnt, daß sich unter ihnen vielleicht eine verstecken könnte, die sich erinnern und auch lieben kann. Und so habe ich seit der Zeit, da ich alt genug geworden bin, um der Erwachsenenverschwörung beizutreten, meinen gefärbten Puffmais dazu benutzt, eine Nymphe nach der anderen vom Berg fortzulocken. Ich habe sie geheiratet und versucht, mit jeder von ihnen den Storch zu rufen, in der Hoffnung, daß die Richtige sich am nächsten Morgen daran erinnern würde. Doch bisher hat jede Nymphe es wieder vergessen, obwohl sie doch alle begeistert dabei mitgemacht haben, dem Storch das Signal zu geben. So ist die Ehe jedesmal gescheitert und aufgelöst worden, und ich mußte wieder von vorn anfangen.«
»Aber warum hältst du sie dann in der Burg gefangen?« wollte Gloha wissen. »Es sind doch von Natur aus sorglose Kreaturen, die in der Gefangenschaft nur unglücklich werden.«
»Weil ich keine Nymphe von der anderen unterscheiden kann. Wenn ich sie wieder freilasse, nachdem ich sie geheiratet habe, könnte es passieren, daß ich dieselbe ein zweites Mal wieder einfange und so meine Zeit vergeude. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, besteht darin, daß ich die alten Nymphen von der Gruppe fernhalte.«
Langsam begann Gloha das Ganze einzuleuchten. Trotzdem gefiel es ihr nicht. »Tja, ich würde dich jedenfalls nicht heiraten, und ich werde auch nicht begeistert dabei mitmachen… den… na ja, egal. Und ich werde dich auch nie lieben. Nein, nicht im Laufe der Zeitspanne, die diese Jahrhundertpflanze bis zur Reife benötigt. Also kannst du mich ebensogut freilassen.«
»O nein! Ich muß dich heiraten. Du bist die einzige, die mich lieben und mit der ich endlich die Liebe erfahren kann, weil du Erinnerungsvermögen besitzt. Danach werde ich den Zauberbann der Dämonen gebrochen haben. Dann kann ich endlich ein ganz normales Leben führen wie jeder gewöhnliche Mensch.«
Veleno schien Glohas Erklärung nicht sonderlich aufmerksam verfolgt zu haben. Ob es vielleicht eine andere Möglichkeit gab, ihn abzuschrecken? Da fiel Gloha etwas ein, was die Dämonen betraf. »Beobachten die das hier?«
»Natürlich. Auf diese Weise unterhalten sie sich ja. Aber wenn ich die Liebe finde, werden sie das sofort merken, und dann ist es aus mit ihrer Unterhaltung. Dann lassen sie diese Burg in Rauch aufgehen, während ich mit meiner Braut in mein Dorf zurückkehren kann, wo wir dann bis ans Ende unserer Tage als Bauern leben können, die dem kargen Boden mühsam ihren Lebensunterhalt abringen.«
»Das ist ein wahrhaft bescheidenes Ziel«, meinte Gloha. »Und ich wünsche dir dazu alles Gute. Aber mit mir wird das nichts. Denn ich werde dich nicht heiraten, und mehr gibt
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