Harpyien-Träume
die Nacht durch, und das Gebäude wurde nun von Lichtern erhellt, wenngleich es in der Burg weder Verteidiger noch Dienstboten zu geben schien. Bis auf Veleno und die gefangenen Nymphen war sie völlig leer. Der Bau schien von allein zu funktionieren. Da Dämonen die Burg erbaut hatten, wie Metria berichtete, gaben sie sich offenbar nicht mit menschlichen Dienern ab. Auf dem Mittelhof wuchsen ein paar Pastetensträucher, die Veleno wahrscheinlich mit seinem täglichen Nahrungsbedarf versorgten, aber das war es auch schon. Es war eine autarke Burg.
Wenigstens erleichterte die Beleuchtung das Verfolgen des Geschehens im Innern, während Veleno seinerseits Griesbogen nicht sehen konnte, falls er sich überhaupt darum kümmerte. Die Burg bestand zwar nicht aus Glas, doch an manchen Stellen machte das keinen Unterschied, weil man durch die oberen Fenster hineinblicken konnte. Nur das untere Stockwerk war völlig undurchsichtig.
Veleno stieg zu dem oberen Turmzimmer hinauf, während Trent und Mark sich einen Weg durch die zweite versperrte Tür bahnten. Der Mann schien nichts von den Gefährten bemerkt zu haben. Vielleicht lebte er ja schon so lange in dieser Burg und fühlte sich so sicher, daß er gar nicht erst mit Eindringlingen rechnete.
Endlich erreichte Veleno sein Ziel. Griesbogen hielt das Ohr an die Burg, um genau zu hören, was dort gesprochen wurde.
»Ich habe dir ein Hochzeitskleid in deiner Größe mitgebracht, damit du mich auch stilvoll heiraten kannst«, teilte Veleno Gloha mit.
»Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich dich nicht heiraten werde«, versetzte Gloha. »Meine Freunde werden mich gleich aus deinen üblen Klauen erretten.«
»Hier kann dich niemand erretten. Diese Burg ist für Sterbliche uneinnehmbar. Und nun nimm dieses Kleid und leg es an. Dann kommst du herunter in den Hauptsaal, damit wir endlich heiraten können.«
»Was ist bloß mit dir los?« fragte sie ungläubig. »Ich habe dir doch gerade gesagt, daß ich dich nicht heiraten werde! Hörst du mir gar nicht zu?«
Veleno runzelte die Stirn. »Du bist ein richtiges Mädchen und keine Nymphe«, sagte er. »Deshalb kannst du dich von einem Tag zum anderen erinnern. Das bedeutet aber, daß unsere Ehe morgen nicht automatisch aufgelöst ist. Dann werde ich endlich die Anforderung erfüllt haben, ich werde die Liebe kennenlernen und kann wieder nach Hause zurückkehren.«
»Das hast du mir alles schon einmal erzählt«, ermahnte sie ihn. »Und ich habe dir auch schon einmal gesagt, daß ich dabei nicht mitmachen werde. Ich bin keine Nymphe, und ich werde dich auch nie heiraten. Und jetzt nimm dein dämliches Kleid und laß mich gehen, dann will ich die Sache vergessen und mich verdrücken.«
Griesbogen schüttelte den Kopf. Was für eine wunderhübsche, tapfere Kreatur sie doch war! Sie ließ sich von ihrem Räuber nichts bieten.
»Wenn du nicht herunterkommst, um mich zu heiraten«, sagte Veleno gelassen, »bringe ich dir eben nichts zu essen. Und weil du wirklich bist, mußt du etwas essen. Wenn du erst hungrig genug bist, wirst du mir schon zustimmen, daß es besser ist, verheiratet zu sein und essen zu dürfen.«
»Versuchst du etwa, mich so lange auszuhungern, bis ich dich heirate?« fragte sie empört.
»Ja. Bist du jetzt bereit?«
»Nein!«
»Das ist bedauerlich«, meinte Veleno. »Ich hatte eigentlich darauf gehofft, einen angenehmen Abend des Ehevollzugs verbringen zu dürfen. Aber ich kann warten.« Er hängte das Kleid zwischen die Gitterstäbe der Tür.
»Vollzug?« rief Gloha. »Niemals!« Und um es zu unterstreichen, stampfte sie mit ihrem zierlichen kleinen Fuß auf.
Griesbogen seufzte vor Bewunderung. Gloha gab auch unter äußerem Druck nicht nach. Und schon bald würde sie gerettet werden; deshalb würde ihr Widerstand ihr tatsächlich die Qual einer unglücklichen Ehe ersparen.
Veleno stieg die Treppe hinunter. Metria erschien vor ihm. »Sie wird dich niemals heiraten, du Haufen Drachendung!« sagte sie triumphierend.
»Wer bist du denn? Eine verirrte Dämonin?« wollte er wissen. »Geh mir aus dem Weg.« Dann trat er einfach durch sie hindurch.
Metrias Miene wirkte zornig, doch sie versagte sich eine Antwort. Sie konnte weder Veleno noch der Burg etwas anhaben, da sie für beide unwirklich war – sofern man von der Möglichkeit absah, hier in sichtbarer Gestalt zu erscheinen. Also schnellte sie zu Glohas Zimmer hinauf. »Dem hast du's aber gegeben«, meinte sie. »Gut für dich,
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