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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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wohin er führte. Doch da bekam ein Fangarm sie am Fuß zu packen, und sie stürzte kopfüber zu Boden. Dabei verdrehte sie sich die zerschundenen Knie und schrie auf vor Schmerz. »Hilfe!« rief sie. Doch das Tosen des Wassers übertönte sie, und sie wußte, daß niemand sie hören oder ihr zur Hilfe eilen würde.
    Die Fangarme fanden ihren Körper und schlangen sich darum, hielten sie fest, um sich in diesen saftigen kleinen Happen zu bohren. Die Nickelfüßler kamen gerade rechtzeitig herbeigescharrt, um münzgroße Fleischstücke aus ihrem Opfer herauszureißen, bevor die Pflanzen Gloha gänzlich verkümmern ließen. Nun nahte auch noch der hungrige Schatten eines noch größeren Ungeheuers.
    Gloha schrie. Doch diesmal war es keine zaghafte, nur vorgetäuschte Anstrengung – es war eine doppelkehlige, durchbohrende Schwingung im Ultraschall- und Ultraviolettbereich, mit einer Andeutung des Vokabulars, das Tante Haarbutt ihr beizubringen versucht hatte. Die Schlingarme stutzten und wichen von ihr zurück. Die Nickelfüßler ließen ihre Zangen klicken, hatten vorübergehend die Orientierung verloren. Das nahende Ungeheuer zögerte einen Drittelmoment, vielleicht auch nur ein Zehntel eines Augenblicks.
    Dann hatten sich alle drei Bedrohungen wieder gefangen und kamen erneut auf Gloha zu. Doch in diesem Augenblick unternahm sie eine erschöpfte kleine Anstrengung, kämpfte um die hoffnungslos kleine Hoffnung, die ihr noch verblieb, ihr verlorenes kleines Leben zu retten. Sie stemmte sich fort.
    Gloha stürzte Flügel über Sohle einen langen, sandigen Schacht hinab. Dabei wurde sie glühender Schimmel, Käfer und zahlreicher faszinierender Schmutzschatten gewahr, die unterwegs kaum aussprechbare Teile ihres Körpers berührten. Schließlich prallte sie neben dem schartigen, von Spinnweben bedeckten Schlund eines verborgenen Lochs auf. Ohne nachzudenken, stürzte sie sich hinein und entdeckte einen dunklen Tunnel, der irgendwohin führte – wohin, wußte sie nicht, und sie zögerte auch, danach zu fragen. Doch auf keinen Fall konnte es bedrohlicher sein als das, was bereits hinter ihr her war.
    Der Tunnel wand und drehte sich, als wollte er sie abschütteln, doch sie folgte ihm durch jede Schlaufe, wagte es nicht stehenzubleiben. Endlich gab der Tunnel es auf und entließ sie in eine mattleuchtende kleine, vergessene, schon seit langem unbenutzte Flucht gehauener Felshöhlen, die verborgen unter den Höhlen des Harpyienhorts lagen. Wider alle Wahrscheinlichkeit hatte Gloha einen geheimen Ort entdeckt, der beinahe Sicherheit zu bieten schien. Unter felsigen Ritzen, in denen giftig aussehende Schlingpflanzenklumpen wuchsen, die in leuchtendem Gemüsegrün, Ultraviolett, Mondweiß und Blutrot erglühten, taumelte Gloha dahin, durch faulende Baumstämme und vorgeschichtliche Felsruinen. Sie kroch über eine gefährliche, bröckelnde, schmale, morsche Holzbrücke, die über eine klaffende Schlucht führte, in deren Tiefen ein gräßliches, bedrohliches Rascheln zu vernehmen war. Und als sie das tat, gab die Brücke nach und stürzte hinter ihr ins Bodenlose. Gloha lauschte, konnte aber keinen Aufprall hören.
    Schließlich führte sie der magische Weg zu einer Pfütze aus düsterem Nebel, wo er auch endete. Sie traute der Sache nicht, und so griff sie nach einer zähen Wurzel, die aus der Ritze einer Ruine hervorwuchs. Nach mehreren zaghaften kleinen Versuchen schaffte sie es, sich aus Dreck und Schlamm auf eine höhere Ebene zu ziehen. Jetzt war sie, wie sie hoffte, wenigstens für eine Weile in Sicherheit.
    »Wie ich mir doch wünschte, ich könnte fliegen, fliegen, fliegen, hoch hinauf zu den Sternen und noch weiter«, hauchte sie. Doch sie war zu erschöpft, um zu fliegen, selbst wenn sie nicht in einer tiefen, feuchten, schummrigen Höhle gewesen wäre, unvorstellbar tief unterhalb aller Orte, an denen sie hätte sein wollen. Und so tat sie das Vernünftigste und ließ sich in den Schlaf fallen.
    Nach einer Weile merkte sie gar nicht, wie sie erwachte. Die silbrigen Strahlen des Halbmonds strömten durch ein Netz aus Rissen in der Höhlendecke. Still lag sie unter ihrem ausgebreiteten Umhang, kaum atmend, während sie die Antwort auf die Frage suchte, die sich viel zu schnell in ihren hilflosen kleinen Kopf quetschte.
    »Wo bin ich?« fragte sie vorübergehend orientierungslos.
    »In einer lange vergessenen Höhle«, ertönte ein Flüstern, vielleicht von einer steinigen Wand. Irgendwie schien das nichts

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