Harpyien-Träume
einer Harfe, veränderten die Farbe, bestrichen verschiedene Stellen auf der Sandsteinplatte. Die Anstrengung wärmte Gloha auf, vielleicht auch das Gestein. Sämtliche Ruinenwände schienen von ihrer Musik widerzuhallen, wurden nach und nach freundlicher. Die Steingeister wisperten kontrapunktisch zu Glohas Lied und scharten sich um eine Bresche in der Wand, die Gloha zuvor nicht gesehen hatte. Sie begab sich dorthin, und tatsächlich – es war ein Fenster zu einer anderen Welt, die vielleicht ein Teil der Oberfläche Xanths war oder vielleicht dorthin führte. Das war möglicherweise ihr Weg nach Hause. Wenn sie es nur irgendwie schaffte, ihren zerschundenen kleinen Körper durch die Ritze zu schieben und der neuen Höhle nach oben und hinaus zu folgen.
Sie wurde sich ihrer Umgebung immer mehr gewahr und vernahm nun die flüsternden Stimmen der steinernen Versammlung von Wasserspeiern. Jetzt erkannte sie ihre Identität und wußte, was ihnen widerfahren war. »Eines Tages soll eure Geschichte bekannt werden, o ihr Wasserspeier«, sagte sie. Da wurden ihre matten Stimmen lauter, verwandelten sich in ein unzusammenhängendes Geplapper, als würde die Luft aus der Höhle gesaugt. Diese begann zu beben, und von den Ruinen schälten sich Steinsplitter. Die Ritze vor Gloha klaffte weiter auf.
Ängstlich, daß die Höhle über ihr zusammenbrechen würde, stieß Gloha einen Schrei aus und schob sich mit furchtbarer kleiner Entschiedenheit durch den Spalt, hinaus aus der Höhle, hinein in die nächste. Sie stürzte auf gleitenden Schiefer und rutschte in die Tiefe.
War sie wirklich frei, oder war das nur ein betörender Traum? Das würde sie schnell genug herausfinden. Halb rannte sie, halb flog sie und belastete ihr schlimmes Knie so wenig wie möglich, während sie es zugleich vermied, an die rauhe Höhlendecke zu stoßen. So folgte sie dem steilen Weg nach oben und um eine Biegung – und erreichte die Oberfläche in Sichtweite der Harpyienhöhlen. Sie rannte hinaus, und die Szene veränderte sich. Sie stolperte, wäre beinahe gestürzt, und drehte sich um.
Hinter ihr waren keine Ruinen, auch keine Höhlen. Nur xanthischer Wald. War das alles nur ein Alptraum gewesen? Sie war sich nicht sicher.
Gloha blinzelte und merkte, daß wieder eine Schwade Wahnsinn vorbeigestrichen war. Sie war noch davon berührt, aber nicht mehr durchtränkt. Sie hatte jene Zeit aufs neue durchlebt, da sie sich in den unteren Höhlen verlaufen hatte – in den Höhlen, von denen die Harpyien behaupteten, daß es sie gar nicht gäbe. Gloha wußte es besser, und eines Tages würde sie es vielleicht sogar beweisen können.
»Es gibt also tatsächlich alte Ruinen mit Wasserspeiern«, bemerkte Trent. »Die sollte man mal ausgraben und in früherer Pracht wiederherstellen.«
»Du könntest dich darum kümmern«, versetzte Gloha, »wenn du nicht beschlossen hättest, zu verblassen.«
Er lächelte. »Nach mir werden andere kommen. Es wäre nicht gut, wenn wir Alten allzu lange blieben, um die spätere Geschichte Xanths zu versperren. Das ist mit ein Grund, weshalb der Gute Magier das Geheimnis um den Jungborn wahrt.«
Da fiel Gloha etwas anderes ein. »Weshalb wird eigentlich immer nur mein Wahnsinn enthüllt? Hat denn außer mir sonst niemand schlimme Erinnerungen?«
»Ich nicht«, antwortete die Dämonin Metria. »Ich bin ein höllisches Wesen. Ich habe keine Seele und deshalb auch kein Gewissen. Meine Vergangenheit macht mir nicht zu schaffen. Ich hätte selbst dann keine schlimmen Erinnerungen oder Träume, wenn ich welche haben wollte.«
»Ich habe auch keine Seele«, warf Mark ein. »Aber ich hätte gern eine. Dann könnte ich vielleicht auch unter Anfällen von Wahnsinn leiden.«
»Womit nur noch ich übrig wäre«, sagte Trent. »Ich schätze, wenn ich windaufwärts von dir stünde, würde ich die nächste Woge des Wahnsinns wahrscheinlich als erster abbekommen. Dann wären es vielleicht meine schlimmen Erinnerungen, die hier wiederbelebt würden.«
Hastig baute Gloha sich windabwärts von ihm auf. »Bedien dich, Magier!«
Metria formte ihre rauchigen Züge zu einer riesigen Grimasse. »Fünfundzwanzig Jahre Königsherrschaft – das muß ja eine furchtbare Erinnerung sein!«
»Ja, von 1042 bis 1067 als Magier Dor den Thron bestieg«, bestätigte Trent. »Allerdings habe ich die zwanzig Jahre zuvor in Mundania zugebracht. Das darf man mit Fug und Recht als schreckliche Erinnerung bezeichnen.«
»Äh, ja«, meinte
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