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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufzutreiben. Doch jetzt hatte er Arbeit auf einem Bauernhof gefunden, wo er sich körperlich betätigte und dabei anscheinend die Sprache erlernte. Kost und Logis schienen frei zu sein; vielleicht schlief er bei den Hühnern unter dem Scheunendach. Im Augenblick servierte ihm eine unscheinbare junge Frau eine Holzschüssel mit Brei. Das mußte die Bauerstochter sein. Sie hatte irgend etwas Bekanntes an sich…
    »Metria!« versuchte Gloha auszurufen, doch daraus wurde natürlich nichts. Sie war einfach nur ein anderes Bauernkind, das soeben in den Angelegenheiten anderer herumschnüffelte. Außerdem war sie – hoppla! – männlichen Geschlechts. Ein Bauernjunge. Ein Teil seines Körpers war irgendwie seltsam. Also löste Gloha sich aus der Szene und ging fort, um den verrückten Maler zu beobachten. Natürlich war er nicht wirklich verrückt; Gloha hielt ihn nur dafür, weil dies ja eine Szene innerhalb der Woge des Wahnsinns war, und weil er der erste Mann war, den sie hier zu Gesicht bekommen hatte.
    Trotzdem – so, wie Glohas Wirtskörper den Mann ansah, schien die Einheimische, der dieser Körper gehörte, den Maler tatsächlich für verrückt, wenn nicht sogar wahnsinnig zu halten. Aber sein Bild war durchaus hübsch: Es zeigte ein Weizenfeld, im Hintergrund war eine Stadt zu sehen. Die Ähren hatten etwas Weiches, Rundes an sich. Und außerdem – wurde er von Mark Knochen belebt. Er sah zwar nicht aus wie Mark, doch die Art, wie er sich bewegte, und die Form seines Schädels gaben Gloha Gewißheit. Also mußte der Mann doch irgendeine wichtige Figur darstellen, so daß es besser war, im Auge zu behalten, wie diese Sequenz endete.
    Gloha machte die Feststellung, daß sie mit zunehmender Übung ihre Unterbrechungen besser in den Griff bekam. Jede Unterbrechung führte sie ungefähr ans Ziel, doch jedesmal war dabei ein wenig Zeit verstrichen. Und mit jedem Sprung sah sie, wie die Jahreszeit sich veränderte. Sie hatte im Frühjahr angefangen, und nun war es Sommer.
    Trents Beziehung zu der Bauerstochter verbesserte sich. Sie mochte ihn offensichtlich, verhielt sich aber schüchtern, weil sie nicht hübsch war. Sie war hager und unansehnlich, aber von gutem Charakter. Kein Zweifel, da bahnte sich etwas an.
    In der Zwischenzeit war der verrückte Maler allüberall. Jeden Tag ging er hinaus, und dann stand er einfach nur da und malte. An regnerischen Tagen malte er ›Stilleben‹-Tische mit Obst und Geschirr darauf. Doch an den meisten Tagen war er draußen und malte das Städtchen aus allen möglichen Winkeln. Bäume, Blumen, Äcker, Wolken, Häuser, das Meer, Schiffe und Leute. Alle wiesen sie diese runde, manchmal etwas unscharfe Qualität auf; aber auf ihre verrückte Weise waren sie alle sehr hübsch und realistisch. Es war erstaunlich, welche Vielfalt er aus der ziemlich langweiligen mundanischen Stadt herausholte. Doch er schien nie irgend etwas mit seinen Gemälden anzufangen; er stapelte sie bloß und vergaß sie. Es gab niemanden, der sie haben wollte.
    Trent heiratete die Bauerstochter. Gloha erlernte mit der Zeit die merkwürdige mundanische Sprache und Schrift zu verstehen, während sie sie durch die Augen jener Menschen wahrnahm, deren Körper sie gerade innehatte, und so konnte sie auch die Mitteilung auf der Heiratsurkunde entziffern: Es handelte sich hier um einen Ort namens Arles in einer Region namens Frankreich in einer Zeit namens 1888. Das alles sagte Gloha zwar überhaupt nichts, aber da sie schon mal hier war, konnte sie es sich ruhig merken.
    Der verrückte Maler malte immer weiter, während die Jahreszeiten vorüberzogen. Manchmal malte er auch nachts und schlief tagsüber. Dann begab er sich wieder auf ein Zimmer und malte Stapel von Büchern oder ein Paar Schuhe oder Stühle oder Leute, die an Tischen saßen und aßen. Oft fertigte er erst Skizzen an, die er dann später vervollständigte.
    Als der Winter kam, malte er Blumen in Vasen. Der Mann schien nur zufrieden zu sein, wenn er malte; der Rest seines Lebens war trist.
    Aber verrückt war er tatsächlich, denn er geriet in einen Streit mit einem Malerfreund, schnitt sich danach ein Ohr ab und brachte es zu einem Haus, in dem mehrere Frauen lebten. Die gingen einem Beruf nach, den Gloha nicht ergründen konnte; es schien irgend etwas damit zu tun zu haben, Männer für kurze Zeit glücklich zu machen. Es waren keine schlechten Frauen; wahrscheinlich hatten sie mehr Verständnis für den verrückten Maler als sonst wer, und sie

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