Harpyien-Träume
ganze Zeit?« fragte Gloha.
»Ich habe gerade erst wieder gelernt, meinen Körper zu gebrauchen. Es war ein ziemlicher Schock, als ich plötzlich wieder sehen konnte. Ich sehe immer noch nicht sehr gut, aber es wird von Tag zu Tag ein bißchen besser. Ich mußte mich erst an die vielen Anblicke gewöhnen. Am Anfang mußte ich noch auf allen vieren hinauskriechen, um die Früchte und Nüsse und Bolzen einzusammeln, die von den Bäumen gefallen waren, aber später habe ich dann wieder das Laufen gelernt. Ich glaube, inzwischen bin ich schon fast wieder normal.«
»Aber fühlst du dich nicht einsam, so allein zu leben?« fragte Gloha und bereute es sofort, als ihr klar wurde, daß das keine schickliche Frage war.
»Ja, meine Mutter, die mich all die vielen Jahre gepflegt hat, vermisse ich schon«, gestand Janet. »Aber ich glaube nicht, daß ich noch einmal zurück kann. Und ich fürchte mich auch ein bißchen davor, andere Leute kennenzulernen. Bisher hatte ich noch nicht den Mut, mich allzu weit von diesem Haus zu entfernen, das ich gefunden habe.«
»Wie lang warst du denn krank?« fragte Trent.
»Neunzehn Jahre«, erwiderte sie traurig.
»Dann hast du ja nie ein Erwachsenenleben gehabt«, folgerte Gloha. »Keine Freunde, kein…« Sie schnitt sich selbst das Wort ab, weil sie merkte, daß sie wieder daneben lag.
»Freunde hatte ich schon«, widersprach Janet. »Sie sind gekommen und haben mir vorgelesen. Aber das war wohl ziemlich beschränkt.«
»Vielleicht solltest du mal einen Spaziergang um den Hügel machen«, sagte Gloha. »Dort hinten wohnt ein netter Mann, den du mal kennenlernen solltest. Er kommt auch aus Mundania.«
»Ach, wirklich? Das wußte ich gar nicht. Vielleicht tue ich das mal.«
Sie verließen Janet und begaben sich wieder in Richtung Südosten. Doch schon bald standen sie wieder am Ufer des Sees.
»Aber liegen die Fluchungeheuer denn tatsächlich direkt auf der Linie, die Crombie gezeigt hat?« fragte Trent. »Ich habe den Eindruck, daß sie zwar den See durchschneidet, aber nicht in der Mitte, wo die Ungeheuer leben. Vielleicht können wir ihnen aus dem Weg gehen. Sie sind nicht gerade für ihre Freundlichkeit gegenüber Fremden berühmt.«
»Ach, bah!« rief eine Stimme. »Und ich hatte schon gehofft, ihr würdet gar nicht merken, daß ihr es mit den Fluchungeheuern nicht aufnehmen müßt. Das wäre viel interessanter geworden.«
Trent wechselte einen Blick mit Gloha und Mark: Die Dämonin hatte soeben seinen Verdacht bestätigt.
»Dann können wir ja ebensogut den See umgehen«, schloß Gloha erleichtert. »Durch welches Ende zieht sich denn die Linie?«
»Durch das südliche, glaube ich. Also können wir südlich um den See herum gehen«, erwiderte Trent.
»Mist, schon wieder reingefallen«, ertönte Metrias Stimme.
Gloha machte sich so ihre Gedanken darüber. Sie fürchtete sich davor, daß irgend etwas vor ihnen liegen könnte, dem sie begegnen würden und das die Dämonin interessant fände – weshalb Metria auch versuchte, ihnen das Gegenteil einzureden. Aber das war nur ein Verdacht, und außerdem mußten sie den See ohnehin umrunden oder ein Boot bauen. Doch um den See herumzugehen, war sicherer, denn das machte es weniger wahrscheinlich, daß sie auf die Fluchungeheuer trafen.
Statt dessen trafen sie freilich auf etwas anderes: ein Ameisenscharmützel. Eine ganze Armee von Kampfameisen hatte einen riesigen Ameisenhügel belagert. Die Ameisen waren allesamt von gewaltiger Größe und sahen höchst gefährlich aus. »Ich glaube, wir sollten besser ausweichen«, murmelte Trent. »Offensichtlich waren die Warnungen, diesen Riesen betreffend, durchaus angebracht, nur daß wir sie nicht richtig verstanden haben. Ich könnte zwar die Ameisen verwandeln, die uns zu nahe kommen, aber wenn sie von allen Seiten gleichzeitig angreifen, könnten sie uns durchaus überwältigen.«
»Ja, verschwinden wir von hier«, sagte Gloha.
So umgingen sie den Ameisenberg und setzten ihren Marsch um den See fort.
Da zog eine Wolke heran. Sie spähte zu ihnen hinunter. Dann plusterte sie sich mächtig auf und wurde immer größer und dunkler.
»Das ist ja Fracto!« rief Gloha. »Was für ein Pech!«
Die Wolke formte einen nebligen Schlund aus. »Ho, ho, ho!« prustete sie und bildete damit immer neue Wölkchen.
»Wir sollten lieber einen trockenen Lagerplatz suchen«, sagte Trent. »Heute werden wir wohl nicht mehr allzu weit kommen.«
Sie eilten weiter und hielten Ausschau nach einem
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