Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
daumengro-
ßen Flaschen kosten würde. Ich rechnete mit ungefähr fünf Dollar pro Stück. Das war schlimmer als die Minibar in einem Fünf-Sterne-Hotel. Aber Ivy zu bitten, kurz nach Hause zu fahren und mir mein Zeug zu holen, war nicht drin. Je weniger ich hier rauszuschleppen hatte, desto weniger würde ihnen auffal-len, dass ich ein fliehender Patient war.
Vor dem Wandel konnte man noch ein EGÄR-Formular unterschreiben - Entlassung gegen ärztlichen Rat -, und das war es. Aber nach der sich schnell ausbreitenden Pandämie, die durch die Bevölkerung gerast war, hatte die Rechtsprechung 257
die Patientenrechte liebend gern eingeschränkt. Wenn man jetzt nicht schon anfing, den Papierkram zu erledigen, bevor man überhaupt im Krankenhaus war, dauerte es ewig und einen Tag, um eine EGÄR zu bekommen. Wenn ich hier rauswollte, musste ich mich rausschleichen. Wahrscheinlich würden dann die Cops hinter mir her sein, weil das Krankenhaus sein Möglichstes tat, sich gegen eine eventuelle Klage zu verteidigen, aber sie würden mich in Ruhe lassen, sobald ich die EGÄR
dann hatte.
Aus der abendlichen vierzigminütigen Genussdusche unter dem Wasser anderer Leute war eine fünfminütige Hetzerei geworden; das Prasseln des Wassers auf meiner Haut hatte mir Schwindel verursacht und das Gefühl vermittelt, als würde ich mit der Seife gleichzeitig auch meine Aura abwaschen. Aber jetzt saß ich auf der harten Couch neben dem nachtdunklen Fenster und hatte es mir halbwegs bequem gemacht. Ich trug die Kleidung, die Ivy mir vorbeigebracht hatte: Jeans und ein schwarzes Sweatshirt, zu dem sie mir, als ich es das erste Mal getragen hatte, ein Kompliment gemacht hatte.
Ich hatte gedacht, eine Dusche wäre genau das Richtige, aber die Aktivität war vor allem eine Lehre darüber gewesen, wie lange ich mich bewegen konnte. Oder mehr, wie wenig ich mich bewegen konnte. Meine Aura war unangenehm dünn, und jedes Mal, wenn ich mich schnell bewegte, schien ich das Gleichgewicht zu verlieren. Mir wurde auch kalt. Auf komi-sche Art. Fast wie ein Schmerz. Seltsam, hatte Glenn gesagt.
Das war genau das richtige Wort dafür.
Ich gab auf, warf den Kamm in den Mülleimer und fragte mich, ob irgendwer sich die Mühe gemacht hatte, Pierce zu sagen, was passiert war und dass es mir gutging. Wahrscheinlich nicht. Neben dem Fenster war es zugig, und als ich hinter die Vorhänge spähte, sorgte der Blick auf rote und weiße Scheinwerfer auf Schnee nur dafür, dass mir noch kälter wurde.
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Ich streckte den Arm nach meinem Mantel aus und entdeckte dabei einen neuen Kratzer auf dem rechten Ärmel. Dreck.
Ich glitt hinein, zog vorsichtig meine Stiefel auf die Couch und umarmte meine Knie. Meine lächelnde Giraffe saß mir gegenüber und brachte Erinnerungen zurück. Erinnerungen daran, wie ich so dasaß und darauf wartete, dass es meinem Dad besser ging oder er starb, noch ältere Erinnerungen, wie ich darauf wartete, dass meine Mom mich abholte und nach Hause brachte. Seufzend stemmte ich das Kinn auf die Knie.
Etwas früher am Tag hatten mich meine Mom und Robbie besucht. Mom war schockiert gewesen, als ich ihr erzählt hatte, dass es ein Banshee-Angriff gewesen war, und Robbie ging vorhersehbarerweise an die Decke. Seine genauen Formulie-rungen beinhalteten Worte wie Hölle und Eissturm, aber er hatte meine Berufswahl noch nie gutgeheißen, also war es egal.
Ich liebte ihn, aber er war ein Arschloch, sobald er anfing, mich in seine Ideenwelt von wie ich sein sollte einzupassen. Er war gegangen, als ich dreizehn war, und in seinem Kopf würde ich immer dreizehn bleiben.
Zumindest hatte Marshal, als er herausgefunden hatte, dass ich mich heute Nacht davonmachen würde, angeboten zu helfen. Nachdem ich gesehen hatte, wie er Tom überwältigt hatte, wollte ich sein Angebot schon fast annehmen, aber ich hielt ihn lieber als Reserve zurück, falls ich aus meinem »sicheren Unterschlupf« fliehen musste, wenn die EGÄR-Polizei kam.
Das fast unhörbare Quietschen der riesigen Zimmertür zog meine Aufmerksamkeit durch den schwach erleuchteten Raum, und ich hob den Kopf. Es waren Ivy und Jenks. Ich lächelte und stellte die Füße auf den Boden. Jenks erreichte mich zuerst, und der Staub, den er verlor, hinterließ im dunklen Raum eine schwach leuchtende Spur.
»Bereit?«, fragte er und brummte um mein feuchtes Haar herum. Er trug Matalinas letzten Versuch von Winterkleidung, 259
und der arme Kerl war in so viel blaue Wolle gewickelt,
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