Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
zusammengetreten, aber in einer Ecke des Vorgartens stand ein traurig wirkender, vielleicht einen Meter hoher Schneemann.
Sein Gesicht war geschmolzen und die Mütze hing ihm über die Augen. Die Vorhänge im Haus waren zurückgezogen und gelbe Lichtquadrate fielen auf den Schnee. Rote und grüne Lichter von den Nachbargärten bildeten einen seltsamen Ge-gensatz dazu, und ich konnte das Gespräch der zwei an der Ecke hören.
54
Mehr Nachbarn kamen auf die Straße; als ein Van mit An-tennen auf dem Dach langsam unter die Laterne fuhr, spürte ich einen Stich von Abscheu.
Verdammt, sie sind schon da? Ich wollte mit den Nachbarn reden, bevor die Medienleute sie eher an Sensationen als an die Realität denken ließen. Ich war mir sicher, dass Edden die di-rekten Nachbarn schon befragt hatte, aber seine Leute würden nicht die Fragen stellen, die ich beantwortet haben wollte.
»Da«, murmelte Ivy, und ich folgte ihrem Blick zu dem dunklen Schatten, der aus der Garagentür trat und auf uns zukam.
»Hey, hi!«, rief ich mit hoher Stimme, um den Eindruck zu vermitteln, wir wären harmlos. Ja, genau . »Edden hat uns gebeten, vorbeizukommen. Wir sind von Vampirische Hexenkunst .« Uns gebeten? Wir hatten ihn mehr dazu gezwungen, aber das würde ich jetzt sicher nicht verkünden.
Der junge FIB-Officer schaltete das Außenlicht an und überschwemmte die Einfahrt mit blendendem, künstlichem Licht.
»Kann ich Ihre Ausweise sehen?«, fragte er, dann schaute er nochmal hin. »Oh!«, meinte er dann und schob sich sein Klemmbrett wieder unter den Arm. »Sie sind die Hexe und der Vamp.«
Unter meiner Mütze erklang ein angewidertes: »Und der wirklich kalte Pixie. Könntest du dich beeilen, Rache? Ich glaube, meine Eier sind abgefallen.«
Ich unterdrückte eine Grimasse und klebte mir ein falsches Grinsen ins Gesicht. Ich wäre lieber unter unserem Firmenna-men bekannt gewesen als unter dem Label »Die Hexe und der Vamp«, aber zumindest hatte Edden sie wissen lassen, dass wir vorbeikamen. Vielleicht würde er keinen riesigen Aufstand machen, weil wir halfen. Ich beobachtete die Körpersprache des Officers, konnte aber nicht herausfinden, ob seine Ungeduld daher kam, dass das FIB uns neuerdings misstraute, oder dass ihm kalt war.
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»Ja, Vampirische Hexenkunst . Wir sind hier, um mit der eventuellen Inderlander-Verbindung zu helfen«, sagte ich, bevor Ivy total vampirisch werden konnte. Ihn in ihren Bann zu ziehen und damit völlig zu verängstigen würde nicht helfen - so unterhaltsam es auch wäre.
»Können wir rein?«, fragte Ivy mit einer unterschwelligen Drohung in der Stimme, und Jenks kicherte.
»Sicher. Ziehen Sie ein paar Überschuhe an, okay?«
Ivy war schon halb an der Garagentür. Ihre Bewegungen waren steif, weil er davon ausgegangen war, dass sie nicht wusste, wie man sich an einem Tatort verhielt. Ich warf einen Blick zurück zur Straße und zögerte. Das Nachrichtenteam hatte sich eingerichtet, und ihre riesigen Scheinwerfer zogen die Menschen an wie Motten. »Hey, ähm, Ivy …«, murmelte ich, und sie zögerte, eine Hand schon an der offenen Tür.
Sie lächelte schief. »Du willst mit ihnen reden?«
Ich nickte, und sie fügte hinzu: »Ist das okay für dich, Jenks?«
»Oh, Scheiße.« Ich fluchte leise. Ihn hatte ich ganz vergessen.
»Mir geht’s prima!«, bellte er, und ich fühlte ein leichtes Ziehen, als er sich zurechtrückte. »Drinnen wird sich nichts mehr verändern, aber ich will hören, was die Nachbarn sagen.
Tratsch, Ivy. Da versteckt sich die Wahrheit. Es geht immer um Klatsch und Tratsch.«
Ich wusste nichts über Klatsch und Tratsch, aber nachdem er gesagt hatte, dass es ihm gutging, würde ich lieber die ersten Eindrücke hören statt später die vorformulierten Aussagen, wenn alle Zeit gehabt hatten, nachzudenken.
Ivy runzelte die Stirn, weil sie offensichtlich der Meinung war, dass Verbrechen durch sorgfältig gesammelte Beweise ge-löst wurden, nicht durch nebulöse Gefühle und Vermutungen.
Aber dann ging sie mit einem Achselzucken nach drinnen, und ich wanderte in die Nacht hinaus.
56
Mit schnellen Schritten fand ich einen Platz am äußeren Rand der wachsenden Versammlung. Ich versuchte, mich aus dem Blickfeld der Kamera zu halten. Jenks hörte wahrscheinlich doppelt so viel wie ich. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf den rotwangigen Mann im Filzmantel zu werfen, der gerade interviewt wurde. Ich ging nicht davon aus, dass es live war, da es
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