Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
Handtuch heraus, mit dem sie sich abtrocknete. Verlegenheitsgef ü hle, nackt vor ihm herumzulaufen, kannte sie ü berhaupt nicht. Harry vermi ß te eine gewisse Scheu an ihr. Alle Frauen, mit denen er je eine Beziehung begonnen hatte, verloren sie nach einiger Zeit – bevor sie ihn dann verlie ß en.
W ä hrend sie sich anzog, stieg er in seine Bluejeans und zog ein T-Shirt ü ber. Niemand sagte etwas. Sie l ä chelte ihn verkrampft an, und er begleitete sie hinaus zum Wagen.
» Also bleibt es bei unserer Verabredung f ü r Silvester? « fragte sie, nachdem er ihr die Wagent ü r ge ö ffnet hatte.
» Nat ü rlich.« Er wu ß te, da ß sie mit einer Ausrede absagen w ü rde.
Sie streckte sich nach oben und k üß te ihn, dann stieg sie ein.
» Auf Wiedersehen, Teresa «, sagte er noch, aber sie hatte schon die T ü r zugeschlagen.
Es war Mitternacht, als er ins Haus zur ü ckging. Es roch nach ihrem Parfum. Und nach seinen Schuldgef ü hlen. Er legte Frank Morgans Mood Indigo auf den CD-Spieler. Ohne sich zu r ü hren, stand er im Wohnzimmer und h ö rte der Phrasierung des ersten Solos von Lullaby zu. F ü r Bosch gab es nichts Wahreres als den Sound eines Saxophons.
11
An Schlaf war jetzt nicht zu denken. Bosch stand auf der Veranda und schaute hinunter auf den Lichterteppich von Los Angeles. Die k ü hle Luft st ä hlte seinen Willen und verst ä rkte seine Entschlossenheit. Zum ersten Mal seit Monaten f ü hlte er sich belebt. Die Jagd begann. In seinem Kopf lie ß er alle Fakten Revue passieren und stellte eine Liste auf, wen er sprechen und was er tun mu ß te.
An erster Stelle stand Lucius Porter, der abgewrackte Detective, dessen Abschied ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kein Zufall sein konnte. Er f ü hlte, wie die Wut in ihm aufstieg, sobald er nur an ihn dachte. W ü tend und besch ä mt. Besch ä mt, weil er sich gegen ü ber Pounds f ü r ihn so weit aus dem Fenster gelehnt hatte.
Er w ä hlte wieder Porters Privatnummer aus seinem Notizbuch an, ohne eine Antwort zu erhoffen, und wurde nicht entt ä uscht. Wenigstens in dieser Hinsicht war Porter zuverl ä ssig. Er schaute die Adresse nach, die er sich aufgeschrieben hatte, und machte sich auf den Weg.
Ohne einem anderen Auto zu begegnen, gelangte er nach unten und erreichte den Cahuenga Boulevard. Von dort bog er nach Norden ab und fuhr am Barham Boulevard auf den Hollywood Freeway. Dort herrschte starker, aber z ü giger Verkehr. Die Autos fuhren mit gleichm äß iger Geschwindigkeit nach Norden – ein sich geschmeidig bewegendes Lichterband. In der Ferne, ü ber Studio City, konnte Bosch einen Polizeihelikopter kreisen sehen, den Scheinwerferfinger auf irgendeine Verbrecherszene gerichtet. Der Lichtstrahl schien fast eine Ankerkette zu sein, welche die Maschine am Fortfliegen hinderte.
Nachts liebte er die Stadt besonders. Die Nacht verbarg viele Leiden. Die Stadt verstummte, aber verborgene Unterstr ö mungen gelangten an die Oberfl ä che. In ihrem Sog f ü hlte er sich am freiesten. Im Schutz der Schatten. Wie hinter den get ö nten Scheiben eines Stra ß enkreuzers. Er sah hinaus. Aber niemand konnte hineinsehen.
Die Nacht war das Reich des Zufalls, eine Lotterie der M ö glichkeiten, die in der blauen Neonnacht ausgespielt wurde. So viele Formen des Lebens – und des Sterbens. Man konnte hinten in einer schwarzen Luxuslimousine eines Filmstudios sitzen oder genausogut im blauen Kastenwagen der Gerichtsmedizin, Applaus klang genauso wie eine Kugel, die in der Dunkelheit am Ohr vorbeipfiff. Dieses Gl ü cksspiel war L. A.
Es gab Feuersbr ü nste und Ü berschwemmungen, Erdbeben und Erdrutsche. Leute, die im Vorbeifahren aus dem Auto schossen, und Cracks ü chtige, die einbrachen. Und irgendwo vor dir in der Dunkelheit sa ß jemand betrunken am Steuer. Es gab den Ehemann der Frau, mit der du ins Bett gingst. Und es gab die Frau. Zu jeder Stunde der Nacht wurden Menschen vergewaltigt, erniedrigt, verst ü mmelt, ermordet und geliebt. Und Babies hingen an den Br ü sten ihrer M ü tter. Und manchmal lag ein Baby alleine in einem M ü llcontainer.
Irgendwo.
In North Hollywood verlie ß Harry den Freeway und fuhr auf dem Vanowen Boulevard in ö stlicher Richtung nach Burbank. Dort bog er n ö rdlich in ein Viertel heruntergekommener Mietsh ä user ab. An den Gang-Graffiti sah Bosch, da ß hier haupts ä chlich Latinos wohnten. Porter lebte seit Jahren in der Gegend. Mehr konnte er sich nicht leisten, sein Geld ging drauf f ü r
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