Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
geben, die sie gekannt oder geliebt hatten und die gestorben war. Er hatte es oft erlebt, wenn er den nächsten Verwandten hatte verständigen müssen. Die Frauen fühlten tiefen Schmerz, aber sie wollten darüber sprechen. Dann fiel ihm ein, daß er sie in solch einer Situation kennengelernt hatte. Er hatte ihr den Tod ihres Mannes mitgeteilt. Sie hatten in dem gleichen Raum gestanden wie jetzt, und sie hatten gleich über ihren Mann gesprochen. Fast sofort war sie tief in sein Herz gedrungen.
»Du wirst allein zurechtkommen, wenn ich weg bin?«
»Es ist in Ordnung, Harry. Ich fühle mich besser.«
»Ich werde so früh wie möglich zurück sein. Aber ich weiß nicht wann. Iß was.«
»Okay.«
An der Tür umarmten und küßten sie sich, und Bosch wollte sie nicht loslassen, er wollte bei ihr bleiben und sie in den Armen halten. Schließlich riß er sich los.
»Du bist eine wunderbare Frau, Sylvia. Besser als ich es verdiene.«
Sie hob ihre Hand und hielt seinen Mund zu.
»Sag das nicht, Harry.«
27
Moras Haus befand sich auf der Sierra Bonita Avenue, in der Nähe des Sunset Boulevards. Bosch parkte einen halben Block vom Haus entfernt am Straßenrand und beobachtete das Haus, während es draußen dunkel wurde. Die Gebäude in der Straße waren altmodische, flache Holzhäuser mit großen Veranden und Mansardenfenstern. Es war sicher mehr als ein Jahrzehnt her, daß die Straße so schön wie ihr Name gewesen war. Viele der Häuser waren verfallen. Das Haus neben Moras stand leer, Fenster und Türen waren mit Brettern vernagelt. Die Eigentümer anderer Grundstücke hatten sich für einen Maschendrahtzaun und nicht für einen neuen Anstrich entschieden, als sie das letzte Mal etwas Geld hatten. Fast alle hatten die Fenster vergittert, sogar die auf dem Dach. In einer Auffahrt ruhte ein Auto auf Hohlbausteinen. Es war eine Gegend, in der jedes Wochenende irgend jemand seinen Trödel im Vorgarten verkaufte.
Bosch hatte die Lautstärke des Rovers auf dem Beifahrersitz niedrig gestellt. Laut der letzten Meldung saß Mora in einer Bar am Boulevard, dem Bullet. Bosch war schon einmal dort gewesen und stellte sich vor, wie Mora an der Theke saß. Es war ein dunkler Laden mit einigen Neonreklamezeichen für Bier, zwei Billardtischen und einem Fernseher, der über der Bar an der Decke befestigt war. Man ging dort nicht für einen schnellen Drink hin. Im Bullet blieb es nicht bei einem. Bosch schätzte, daß Mora einen langen Abend vor sich hatte.
Während der Himmel sich dunkelviolett verfärbte, behielt er die Fenster von Moras Haus im Auge. Aber kein Licht wurde hinter ihnen sichtbar. Bosch wußte, daß Mora geschieden war, jedoch nicht, ob jemand bei ihm wohnte. Er betrachtete das dunkle Haus von seinem Caprice aus und bezweifelte es.
»Team Eins?« sprach Bosch in den Rover.
»Team Eins.«
»Hier ist Sechs. Was macht unser Junge?«
»Er beugt noch immer die Ellbogen. Was hast du heute abend vor, Sechs.«
»Ich hab’ im Haus zu tun. Sagt mir Bescheid, wenn ihr etwas braucht, oder falls er sich bewegt.«
»Wird gemacht.«
Er fragte sich, ob Sheehan und Opelt seine Andeutung verstanden und hoffte, daß Rollenberger nichts kapierte. Dann holte er aus dem Handschuhfach den Beutel mit seinen Dietrichen und steckte ihn links in die Tasche seiner blauen Razziajacke aus Plastik. Er drehte den Lautstärkeregler des Rovers ganz nach unten und verstaute das Funkgerät in die andere Tasche der Jacke. Da hinten in großen gelben Buchstaben die Aufschrift LAPD stand, trug er sie auf links.
Er stieg aus, schloß das Auto ab und wollte gerade die Straße überqueren, als er Funkverkehr hörte. Nachdem er die Schlüssel wieder herausgeholt und aufgeschlossen hatte, drehte er im Wagen die Lautstärke wieder auf.
»Was ist los, Eins? Ich habe es nicht mitbekommen.«
»Die Verdachtsperson bewegt sich in westlicher Richtung auf den Hollywood Boulevard zu.«
»Zu Fuß?«
»Negativ.«
Scheiße, dachte Bosch. Dann saß er weitere fünfundvierzig Minuten im Auto und lauschte Sheehans Funkberichten über Moras anscheinend zielloses Hin- und Herfahren auf dem Boulevard. Er fragte sich, was Mora tat. Diese Fahrerei gehörte nicht zum Profil des zweiten Mörders. Soweit sie wußten, operierte der Jünger nur von Hotels aus. Dorthin lockte er die Opfer. Das Hin- und Herfahren paßte nicht ins Bild.
Nach einer Funkstille von zehn Minuten meldete sich Sheehan wieder.
»Er fährt zum Sunset Strip runter.«
Der Sunset Strip war ein
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