Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
aufs Bett und blätterte es durch. Mehrere Frauen standen unter ihrem Vornamen drin. Er war jedoch nicht überrascht, keinen der Namen zu finden, die mit dem Jünger oder dem Puppenmacher zu tun hatten.
Er schloß die Schublade und richtete das Licht auf die Ablage darunter. Dort befand sich ein dreißig Zentimeter hoher Stapel Pornohefte, auf deren Hochglanztitelseiten alle Arten von Paarungen abgebildet waren: Mann-Frau, Mann-Mann, Frau-Frau, Mann-Frau-Mann und so weiter. Er blätterte einige durch und sah ein mit Magic Marker gemachtes Häkchen oben rechts auf der Titelseite jedes Magazins, wie er es bei Mora im Büro beobachtet hatte. Mora nahm sich Arbeit mit nach Hause. Oder gab es einen anderen Grund dafür?
Während er die Hefte ansah, merkte Bosch, wie ihm die Hose im Schritt eng und er von einem eigenartigen Schuldgefühl befallen wurde. Und ich, fragte er sich. Tu ich nur meine Arbeit hier oder bin ich der Voyeur? Er legte den Stapel wieder zurück. Es waren zu viele Hefte, um sie nach den Opfern durchzusehen. Und selbst wenn er eins fand, was bewies es?
An der Wand gegenüber dem Bett stand ein großer Eichenschrank. Bosch öffnete ihn und entdeckte einen Fernseher und einen Videorecorder. Auf dem Fernseher lagen drei Videokassetten. 120-Minuten-Bänder. In der oberen Schublade fand er eine weitere Kassette. Die untere Schublade enthielt eine Reihe gekaufter Pornovideos. Er sah die Sammlung kurz durch – zu viele und nicht genug Zeit. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die vier Bänder, die für eigene Aufnahmen benutzt worden waren.
Er schaltete den Fernseher und den VCR an und sah nach, ob sich schon ein Video in der Maschine befand. Sie war leer. Er schob eine der Kassetten, die auf dem Fernseher gelegen hatten, hinein. Auf dem Bildschirm erschien Schnee. Er drückte auf die Schnellspieltaste und sah bis ans Ende des Bands Schnee flimmern. Er brauchte fünfzehn Minuten, um sich alle drei Kassetten, die auf dem Fernseher gelegen hatten, anzusehen.
Eigenartig, dachte Bosch. Es war anzunehmen, daß sie verwendet worden waren, da sie nicht mehr in den plastikverschweißten Schachteln steckten, in denen sie verkauft wurden. Obwohl er selbst keinen Videorecorder hatte, war er mit ihnen vertraut. Ihm kam der Gedanke, daß Leute ihre Aufnahmen nicht löschten, sie nahmen einfach neue Programme auf.
Warum hatte Mora sich die Mühe gemacht, die Aufnahmen auf diesen Bändern zu löschen? Er fühlte sich versucht, eine der Kassetten zur Analyse mitzunehmen. Aber er entschied, das Risiko war zu groß. Mora würde merken, daß eine fehlte.
Auf dem letzten Band, dem in der oberen Schublade, waren Aufnahmen. Zu sehen waren Szenen, die sich in einem Haus abspielten. Ein Kind spielte mit einem Plüschtier auf dem Boden. Durch das Fenster hinter dem Mädchen sah Bosch einen verschneiten Garten. Dann erschien ein Mann und umarmte das Mädchen. Zuerst dachte Bosch, daß es Mora war. Aber dann sagte der Mann: »Gabrielle, zeig Onkel Ray, wie sehr du das Pferdchen magst.«
Das Mädchen drückte das Stofftier und schrie: »Dankeseen Ontel Re.«
Bosch stoppte das Band und legte es wieder in die obere Schublade zurück. Er zog beide Schubladen heraus und sah unter ihnen nach. Nichts. Dann stellte er sich aufs Bett, um oben auf den Schrank zu sehen. Dort war jedoch ebenfalls nichts. Er schaltete die Anlage ab, stellte im Schrank alles wieder an seinen Platz und sah auf die Uhr. Fast eine Stunde war vergangen.
Im begehbaren Wandschrank hingen auf beiden Seiten sauber aufgereiht Kleider. Auf dem Boden standen acht Paar Schuhe, mit den Spitzen zur Wand. Er fand nichts von Interesse und ging wieder ins Schlafzimmer. Dort sah er schnell unters Bett und durchsuchte die Schubladen der Kommode – ohne Ergebnis. Er ging nach unten und schaute kurz ins Wohnzimmer, aber dort war kein Fernseher. Ebenfalls nicht in der Küche und im Eßzimmer.
Von der Küche aus ging Bosch durch einen Flur zur Rückseite des Hauses. Von hier gingen drei Türen ab; dieser Teil war entweder eine umgebaute Garage oder ein neuer Anbau. In der Flurdecke befanden sich die Öffnungen einer Klimaanlage, und der helle Fichtenboden war neuer und weniger verkratzt als die braunen Eichendielen im übrigen Erdgeschoß.
Die erste Tür führte in eine Waschküche. Bosch öffnete schnell die Hängeschränkchen über der Waschmaschine und dem Trockner, fand jedoch nichts von Interesse. Hinter der nächsten Tür befand sich ein Badezimmer mit neueren
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