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Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Titel: Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sah aus wie auf einem klassischen Fries, wie ihn Bosch auf dem Friedhof oder im Museum gesehen hatte. Aber es war nicht schön, es war eine Totenmaske.
    »Sieht so aus, als hätte der Typ ihr eins aufs Auge gegeben. Es ist geschwollen.«
    Bosch nickte, sagte jedoch nichts. Ein Gesicht in einer Schachtel anzusehen, beunruhigte ihn irgendwie – mehr als der Anblick einer Leiche. Er wußte nicht warum. Edgar deckte die Schachtel endlich wieder zu und legte sie vorsichtig wieder auf den Schrank.
    »Was wirst du damit anfangen?«
    »Ich weiß noch nicht. Falls die Fingerabdrücke nichts ergeben, ist das eventuell unsere einzige Chance, sie zu identifizieren. Es gibt einen Anthropologen an der Universität in Northridge, der ab und zu für die Gerichtsmedizin Gesichter nachbildet. Normalerweise benutzt er Skelette, Schädel. Ich werde ihm dies hier bringen und sehen, ob er das Gesicht zum Leben bringen kann. Vielleicht kann er ihr eine blonde Perücke aufsetzen, oder den Gips bemalen, ihm eine Hautfarbe geben. Was weiß ich, vielleicht piß ich nur in den Wind, aber man kann’s ja mal versuchen.«
    Edgar kehrte zu seiner Schreibmaschine zurück und Bosch zu seinen Mordbüchern. Er öffnete den Hefter mit dem Etikett BIOS, saß jedoch da und beobachtete Edgar ein paar Augenblicke. Er wußte nicht, ob er Edgars Eifer bei dem Fall bewundern sollte oder nicht. Früher hatten sie als Partner gearbeitet, und Bosch hatte ein Jahr damit zugebracht, ihn als Mordfahnder auszubilden. Allerdings war er sich unsicher, wieviel hängengeblieben war. Edgar war andauernd unterwegs, um sich Immobilien anzusehen, oder legte zweistündige Mittagspausen ein, um Verträge abzuschließen. Er schien nicht zu verstehen, daß Mordfahndung kein Beruf, sondern eine Berufung war. Genau wie Mord von einigen Tätern als Kunst ausgeführt wurde, so war die Untersuchung eines Mordfalls die Ausübung einer Kunst. Man wählte sie nicht, sie wählte einen.
    Deshalb konnte Bosch nicht so recht glauben, daß Edgar sich aus ehrenwerten Gründen dermaßen ins Zeug legte.
    »Was guckst du so?« fragte Edgar, ohne von der Schreibmaschine aufzusehen oder mit dem Tippen aufzuhören.
    »Ach, nichts. Ich denke nur nach.«
    »Harry, keine Panik, es wird alles gut ausgehen.«
    Bosch warf seine Zigarette in einen Styroporbecher mit kaltem Kaffee und steckte sich die nächste an.
    »Hat Pounds mit der Prioritätseinstufung mögliche Überstunden abgezeichnet?«
    »Du hast’s erfaßt«, grinste Edgar. »Vor dir siehst du einen Mann mit seinem Rüssel im Überstundentrog.«
    Wenigstens war er ehrlich, dachte Bosch. Zufrieden, daß sein Bild von Edgar nicht revidiert werden mußte, wandte er sich wieder dem Mordbuch zu und fuhr mit dem Finger seitlich über die angehefteten Blätter. Die Seiten waren unterteilt durch elf Indexreiter, einer für jedes Opfer des Puppenmachers. Er blätterte von Sektion zu Sektion, sah sich die Tatortfotos an sowie die Lebensdaten der Opfer.
    Die Frauen kamen alle aus der gleichen Branche: Straßenprostituierte, hochklassige Damen von Escort-Services, Stripperinnen und Pornoschauspielerinnen, die sich etwas nebenbei verdienten. Der Puppenmacher hatte sich in der Halbwelt der Stadt wie in seinem Element gefühlt. Er hatte seine Opfer mit Leichtigkeit gefunden und war dann mit ihnen in die schwarze Finsternis verschwunden. Es gab ein Muster in der ganzen Geschichte, hatte der Polizeipsychologe gesagt.
    Während er die erstarrten Gesichter des Todes ansah, erinnerte sich Bosch daran, daß die Sonderfahndungsgruppe nie etwas Gemeinsames im Aussehen der Opfer hatte etablieren können. Es gab Blondinen und Brünette, Vollschlanke und dürre Junkies, sechs Weiße, zwei Latinos, zwei Asiatinnen und eine Schwarze. Kein Muster. In dieser Hinsicht zeigte der Puppenmacher keine Vorlieben. Sein einziges Muster war, daß er nur Frauen auswählte, die mit einem Fuß im Abgrund standen. Dort, wo man keine Alternativen hat und bereit ist, mit jedem Fremden zu gehen. Nach Ansicht des Psychologen war jede der Frauen ein verwundeter Fisch, der ein unsichtbares Signal abgab, das unvermeidlich den Hai anzog.
    »Sie war weiß, nicht wahr?« fragte er Edgar.
    Edgar hörte mit dem Tippen auf.
    »Das hat der Gerichtsmediziner gesagt.«
    »Sie haben sie schon aufgeschnitten? Wer?«
    »Nein, die Autopsie ist morgen oder übermorgen, aber Corazón hat sie sich kurz angesehen, als sie eingeliefert wurde. Sie meint, daß die Mumie mal weiß war. Warum?«
    »Nichts.

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