Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
hätte, wenn mein Mann so ein Monster gewesen wäre. Ich hätte es gewußt. Wenn man dort Make-up gefunden hat, hat jemand anders es dort hingelegt. Vielleicht nachdem er schon tot war.«
Bosch glaubte zu fühlen, wie sich die Blicke der Zuschauer hinten in seinen Schädel bohrten, als die Witwe ihn beschuldigte, nach der Ermordung ihres Mannes Beweisstücke untergeschoben zu haben.
Nach diesen Fragen ging Chandler zu weniger heiklen Themen über und fragte nach Norman Churchs Verhältnis zu seinen Töchtern. Zum Abschluß drückte sie noch einmal kräftig auf die Tränendrüse.
»Liebte er seine Töchter?«
»Ja, sehr«, antwortete Mrs. Church und öffnete alle Schleusen. Diesmal wischte sie nicht die Tränen weg, die ihr die Wangen herunterströmten, sondern ließ die Jury sehen, wie sie ungehindert in die Falten ihres Doppelkinns rannen.
Belk gab ihr etwas Zeit, sich wieder zu fassen, und ging dann zum Pult.
»Euer Ehren, ich werde mich wieder kurz fassen. Mrs. Church, ich möchte, daß sich die Geschworenen über diesem Punkt im klaren sind. Sagten Sie gerade aus, daß Sie von dem Apartment wußten, aber nicht von irgendwelchen Frauen, die er möglicherweise dorthin mitnahm?«
»Ja, das ist korrekt.«
Belk schaute auf seinen Block.
»Sagten Sie nicht den Detectives in der Nacht, als Ihr Mann erschossen wurde, daß Sie noch nie etwas von einem Apartment gehört hätten. Haben Sie nicht vehement geleugnet, daß Ihr Mann je so ein Apartment gemietet hat?«
Deborah Church antwortete nicht.
»Ich könnte es einrichten, daß man im Gerichtssaal das Tonband der ersten Vernehmung vorspielt, um Ihre Erinnerung etwas …«
»Ja, ich hab’ das gesagt. Ich habe gelogen.«
»Sie haben gelogen? Warum sollten Sie die Polizei belügen?«
»Weil ein Polizist gerade meinen Mann getötet hatte. Ich habe nicht … Ich war überwältigt.«
»Die Wahrheit ist, daß Sie damals die Wahrheit sagten. Korrekt, Mrs. Church. Sie wußten nicht von dem Apartment.«
»Nein, das ist nicht wahr. Ich habe davon gewußt.«
»Haben Sie mit Ihrem Mann darüber geredet?«
»Ja, wir haben es besprochen.«
»Sie haben Ihre Zustimmung gegeben?«
»Ja, schweren Herzens. Ich hatte gehofft, er würde zu Hause bleiben, und wir könnten gemeinsam den Stress bewältigen.«
»Okay, Mrs. Church, wenn Sie von dem Apartment Kenntnis hatten, darüber gesprochen haben und Ihre Zustimmung gaben, warum hat Ihr Mann es dann unter falschem Namen gemietet?«
Sie antwortete nicht. Belk hatte sie festgenagelt. Bosch glaubte zu erkennen, daß die Witwe in die Richtung ihrer Anwältin schielte. Er blickte zu Chandler, aber sie bewegte sich nicht, verzog nicht die geringste Miene, um ihrer Klientin zu helfen.
»Ich denke«, ließ sich endlich die Witwe vernehmen, »das ist eine der Fragen, die Sie ihm hätten stellen können, wenn ihn nicht Mr. Bosch kaltblütig umgebracht hätte.«
Ohne von Belk aufgefordert zu werden, sagte Richter Keyes: »Die Geschworenen werden die letzte Behauptung nicht beachten. Mrs. Church, Sie wissen, daß das nicht zulässig ist.«
»Entschuldigen Sie, Euer Ehren.«
»Keine weiteren Fragen«, sagte Belk und verließ das Pult.
Der Richter beraumte eine zehnminütige Pause an.
In der Pause ging Bosch hinaus zum Aschenkübel. Money Chandler erschien nicht, aber der Obdachlose kam vorbei. Bosch bot ihm eine Zigarette an, die er annahm und sich in eine Brusttasche steckte. Er war wieder unrasiert, und in seinen Augen flackerte ab und zu schwach der Wahnsinn auf.
»Du heißt Faraday«, sagte Bosch, als spräche er zu einem Kind.
»Ja und, Lieutenant?«
Bosch lächelte. Sogar ein Penner konnte sehen, was er war. Er hatte sich nur im Dienstgrad geirrt.
»Nichts. Ich hab’s nur gehört. Ich habe auch gehört, daß du mal Anwalt warst.«
»Bin ich immer noch. Ich übe den Beruf nur nicht mehr aus.«
Er drehte sich um und sah dem Gefängnisbus nach, der auf der Spring Street vorbei zum Gericht fuhr. Er war voll wütender Gesichter, die durch die schwarzen Gitterfenster starrten. Hinter einem der Rückfenster hatte ihn ebenfalls jemand als Cop erkannt. Er streckte seinen Mittelfinger durch die Stäbe heraus. Bosch lächelte zurück.
»Ich hieß Thomas Faraday. Aber jetzt ziehe ich Tommy Faraway vor.«
»Was ist geschehen, daß du als Anwalt aufgehört hast?«
Tommy sah ihn mit trüben Augen an.
»Gerechtigkeit ist geschehen. Danke für den Glimmstengel.«
Mit dem Becher in der Hand ging er Richtung Rathaus davon.
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