Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Besondere Verbrechen. Er war ein großer, hagerer Mann mit einem rötlichen Bart, kurzem dunklem Haar und einer randlosen Brille. Er war mindestens fünfundvierzig Jahre alt. Bosch fand ihn nicht besonders sympathisch, aber beruflich außerordentlich kompetent. Und der Umstand, dass er sich immer noch dafür hergab, Strafsachen zu verfolgen, während andere Juristen seines Alters längst in die besser zahlenden Zivil- oder Strafrechtskanzleien abgewandert waren, machte ihn nur um so bewundernswerter. Bosch vermutete, dass er kein Privatleben hatte. Wenn es in Nächten vor Beginn eines Prozesses noch einmal Fragen zu den Ermittlungen gab und Bosch einen Pagerruf erhielt, war die Rückrufnummer immer Kretzlers Büroanschluss – egal, wie spät es war.
Kretzler stellte seine Mitanklägerin als Janis Langwiser vor, ebenfalls mit Zuständigkeitsbereich Besondere Verbrechen, und den zuständigen Ermittler als LAPD-Detective Harry Bosch.
»Ich werde mich kurz fassen, damit wir, wie Judge Houghton ganz richtig bemerkt hat, um so rascher zu den Fakten kommen können. Meine Damen und Herren, der Fall, der in diesem Saal zur Verhandlung kommen wird, dürfte infolge der Prominenz des Angeklagten zweifellos den Charakter eines Medienereignisses annehmen. Ja, der Angeklagte, David N. Storey, ist ein mächtiger und einflussreicher Mann in dieser Stadt und in dieser nach Prominenz gierenden Zeit, in der wir leben. Doch wenn Sie die Fakten des glitzernden Beiwerks von Macht und Ruhm entkleiden – was wir, das verspreche ich Ihnen, in den kommenden Tagen tun werden –, werden Sie feststellen, dass es hier um etwas so Tiefgreifendes geht, wie es in unserer heutigen Gesellschaft leider immer mehr an der Tagesordnung ist. Um einen schlichten Fall von Mord.«
Um des Effekts willen machte Kretzler eine Pause. Bosch beobachtete die Geschworenen. Ihre Blicke waren auf den Ankläger geheftet.
»Der Mann, den Sie am Tisch der Verteidigung sitzen sehen, David N. Storey, ging letztes Jahr am Abend des zwölften Oktober mit einer dreiundzwanzigjährigen Frau namens Jody Krementz aus. Und nach einem gemeinsamen Abend, in dessen Verlauf sie die Premiere seines jüngsten Films und die anschließende Premierenfeier besuchten, nahm er sie in sein Haus in den Hollywood Hills mit, wo sie in beidseitigem Einvernehmen Geschlechtsverkehr hatten. Ich glaube nicht, dass Sie gegen irgendeine dieser Feststellungen seitens der Verteidigung Einwände zu hören bekommen werden. Deswegen sind wir nicht hier. Was uns heute hierher geführt hat, ist, was während oder nach dem Sex passiert ist. Am Morgen des dreizehnten Oktober wurde Jody Krementz erdrosselt in ihrem Bett gefunden, in dem kleinen Haus, das sie mit einer anderen Schauspielerin bewohnte.«
Kretzler blätterte in dem Block, der vor ihm auf dem Pult lag, eine Seite weiter, obwohl für Bosch und vermutlich auch allen anderen klar war, dass er sein Eröffnungsplädoyer auswendig gelernt und sorgfältig einstudiert hatte.
»Im Lauf dieses Prozesses wird der Staat Kalifornien zweifelsfrei nachweisen, dass es David Storey war, der Jody Krementz in einem Moment brutaler sexueller Raserei das Leben genommen hat. Dann brachte er die Leiche aus seinem Haus in das des Opfers oder ließ sie dorthin bringen. Er versuchte den Anschein zu erwecken, bei ihrem Tod habe es sich um einen Unfall gehandelt. Und dann machte er sich seine Stellung und seinen Einfluss zunutze, um die Aufklärung des Verbrechens durch das Los Angeles Police Department zu verhindern. Mr. Storey, der, wie Sie noch sehen werden, schon zuvor Frauen mißbraucht hat, war sich so sicher, ungestraft davonzukommen, dass er in einem Moment der –«
Kretzler suchte sich diesen Augenblick dafür aus, um sich vom Pult abzuwenden und mit einem vernichtenden Blick auf den sitzenden Angeklagten hinabzusehen. Storey blickte weiter unverwandt nach vorn, worauf sich der Ankläger schließlich wieder den Geschworenen zuwandte.
»– Freimütigkeit, wenn wir es so nennen wollen, gegenüber dem für den Fall zuständigen Ermittler, Detective Bosch, äußerte, dass genau das eintreffen werde, nämlich dass er ungestraft davonkommen werde.«
Kretzler räusperte sich, das Zeichen, dass er zum Abschluss kam.
»Wir sind hier, meine Damen und Herren Geschworenen, um Jody Krementz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um es uns zur Aufgabe zu machen, ihren Mörder nicht ungestraft davonkommen zu lassen. Sowohl der Staat Kalifornien als auch ich persönlich
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