Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
bitte Sie, dem Prozessverlauf aufmerksam zu folgen und das Beweismaterial ganz objektiv abzuwägen. Wenn Sie das tun, können wir darauf zählen, dass der Gerechtigkeit Genüge geleistet wird. Im Namen von Jody Krementz. Im Namen von uns allen.«
Er nahm seinen Notizblock vom Pult, um an seinen Platz zurückzukehren. Doch dann hielt er inne, als wäre ihm noch etwas eingefallen. Bosch sah darin einen sorgfältig einstudierten Kunstgriff. Er glaubte, die Geschworenen würden es auch so sehen.
»Da fällt mir ein: Wir alle wissen, in letzter Zeit wird es in Los Angeles bei solchen Sensationsprozessen immer mehr üblich, unsere Polizeibehörden unter Anklage zu stellen. Nach dem Motto: Wenn mir die Botschaft nicht in den Kram passt, erschieße ich einfach ihren Überbringer. Das ist die Masche, auf die Strafverteidiger gerade mit Vorliebe zurückgreifen. Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie sich fest vornehmen, wachsam zu sein und nicht aus den Augen zu verlieren, worum es hier geht. Denn worum es hier geht, sind Wahrheit und Gerechtigkeit. Lassen Sie sich also nicht zum Narren halten. Lassen Sie sich nicht hinters Licht führen. Vertrauen Sie bei der Wahrheitsfindung auf sich selbst und Sie werden den Weg finden.«
Er kehrte an seinen Platz zurück und setzte sich. Bosch sah, wie ihn Langwiser kurz am Unterarm fasste, um ihm zu gratulieren. Auch diese Geste war Teil der sorgfältig einstudierten Show.
Der Richter erklärte den Geschworenen, angesichts der Kürze der einleitenden Worte der Anklage werde man ohne Pause zum Eröffnungsplädoyer der Verteidigung übergehen. Dennoch kam es schneller als gedacht zu einer Pause, denn Fowkkes stand auf, trat ans Pult und fasste seine Worte an die Geschworenen sogar noch kürzer als sein Vorredner.
»Meine Damen und Herren, was diesen Spruch mit dem Überbringer schlechter Nachrichten angeht, ob man ihn nun erschießen soll oder nicht – lassen Sie mich Ihnen dazu was sagen. Diese schönen Sätze, die Sie zum Schluss von Mr. Kretzler zu hören bekommen haben, die werden von jedem Ankläger in diesem Gebäude zu Beginn jedes Prozesses an diesem Punkt geäußert. Ich glaube fast, bei der Staatsanwaltschaft haben sie das auf so kleine Kärtchen gedruckt, die sie in ihren Brieftaschen immer mit sich rumtragen.«
Kretzler stand auf und erhob Einspruch gegen derlei »wilde Übertreibungen«. Richter Houghton ermahnte Fowkkes, legte dann aber dem Ankläger nahe, sich seine Einsprüche für bessere Gelegenhei ten aufzusparen. Fowkkes fuhr rasch fort:
»Es tut mir Leid, wenn ich gerade zu weit gegangen bin. Ich weiß, in diesem Punkt sind Staatsanwaltschaft und Polizei etwas empfindlich. Aber alles, was ich damit sagen will, Leute, ist: Wo Rauch ist, da ist gewöhnlich auch Feuer. Und im Lauf dieses Prozesses werden wir versuchen, unseren Weg durch den Rauch zu finden. Ob wir nun auf Feuer stoßen oder nicht, mag zunächst dahingestellt bleiben, aber eins weiß ich mit Sicherheit: Eine Erkenntnis, zu der wir gelangen werden, ist, dass dieser Mann –«
Er drehte sich zur Seite und deutete mit Nachdruck auf seinen Mandanten.
»– dass dieser Mann, David N. Storey, ohne jeden Zweifel nicht des Verbrechens schuldig ist, dessen er angeklagt ist. Ja, er ist ein Mann, der über Macht und Einfluss verfügt, aber behalten Sie dabei bitte im Auge: Das ist kein Verbrechen. Ja, er kennt einige Berühmtheiten, aber auch das war, zumindest als ich das letzte Mal einen Blick in die Zeitschrift People geworfen habe, noch kein Verbrechen. Nun kann ich mir natürlich denken, dass Sie bestimmte Aspekte von Mr. Storeys Privatleben und seiner Vorlieben anrüchig finden werden. Mir geht es da genau so. Aber denken Sie bitte daran, dass es sich dabei um keine Vergehen handelt, deren er in diesem Verfahren angeklagt ist. Das Vergehen, das hier zur Verhandlung steht, ist Mord. Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist ein Verbrechen, dessen David Storey NICHT schuldig ist. Und egal, was Mr. Kretzler und Ms. Langwiser und Detective Bosch und ihre Zeugen Ihnen erzählen werden, gibt es in diesem Fall absolut keine Beweise für Mr. Storeys Schuld.«
Nachdem sich Fowkkes vor den Geschworenen verneigt und Platz genommen hatte, verkündete Houghton, der Prozess werde für eine frühe Mittagspause unterbrochen, bevor am Nachmittag mit den Zeugenaussagen begonnen werde.
Bosch beobachtete, wie die Geschworenen im Gänsemarsch durch die Tür neben der Geschworenenbank verschwanden. Ein paar von ihnen
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