Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
noch einmal unter ihren Bedingungen zu versuchen. Ich hatte keinen Job mehr, der mich an L.A. fesselte. Ich konnte gehen, wohin ich wollte. Diesmal konnte ich zu ihr gehen, und wir konnten in der Stadt der Sünde zusammenleben. Es stünde ihr trotzdem frei, auf dem blauen Filz der Pokertische der Casinos von Las Vegas das zu suchen, was sie brauchte. Und am Ende jedes Tages konnte sie zu mir nach Hause kommen. Beruflich konnte ich machen, was sich gerade ergab. Irgendetwas gäbe es in Las Vegas für jemanden mit meinen Fähigkeiten immer zu tun.
Einmal hatte ich eine Kiste gepackt und hinten in den Mercedes geladen. Ich war bis Riverside gekommen, bevor die altbekannten Ängste in meiner Brust hochstiegen und ich vom Freeway fuhr. Ich aß in einem In and Out einen Hamburger und fuhr nach Hause zurück. Als ich dort ankam, machte ich mir nicht die Mühe, die Kiste auszupacken. Ich stellte sie im Schlafzimmer auf den Fußboden und nahm in den nächsten zwei Wochen immer nur dann etwas heraus, wenn ich etwas Frisches zum Anziehen brauchte. Die leere Kiste stand immer noch im Schlafzimmer und wartete auf das nächste Mal, wenn ich sie packen und nach Vegas fahren wollte.
Die Angst. Sie war immer da. Angst vor Zurückweisung, Angst vor unerwiderter Hoffnung, Angst vor Gefühlen, die unterschwellig immer noch da waren. Das alles wurde im Mixer vermengt und schaumig wie ein Milchshake in mein Maß gegossen, bis es randvoll war. So voll, dass es überliefe, wenn ich auch nur einen Schritt machte. Deshalb konnte ich mich nicht bewegen. Ich war gelähmt. Ich blieb zu Hause und lebte aus einer Kiste.
Ich glaube fest an die Eine-Kugel-Theorie. Man kann sich viele Male verlieben und mit jemandem ins Bett gehen, aber es gibt nur eine Kugel, in die der eigene Name eingraviert ist. Und wenn man das Glück hat, von dieser Kugel getroffen zu werden, heilt die Wunde nie.
Möglicherweise hatte Roy Lindell eine Kugel mit Martha Gesslers Namen abbekommen. Ich weiß es nicht. Was ich allerdings weiß, ist, dass meine Kugel Eleanor Wish gewesen war. Sie war mir durch und durch gegangen. Es hatte andere Frauen davor und andere Frauen danach gegeben, aber die Wunde, die sie hinterlassen hatte, war immer da. Sie würde nicht verheilen. Ich blutete noch, und ich wusste, ich würde immer für sie bluten. Das war einfach so, wie es sein musste. Im Herzen haben die Dinge kein Ende.
16
Auf der Rückfahrt nach Woodland Hills fuhr ich bei mir zu Hause vorbei, um aus dem Schrank im Carport den Werkzeugkasten zu holen. Dann machte ich noch einen kurzen Zwischenstopp bei Vendome Liquors. Ich rief nicht vorher an. Bei Lawton Cross war die Chance, dass er zu Hause war, ziemlich hoch.
Danielle Cross öffnete nach dreimaligem Klopfen, und als sie sah, dass ich es war, verdüsterte sich ihre ohnehin schon ziemlich finstere Miene noch mehr.
»Er schläft«, sagte sie und stellte sich angespannt in die Türöffnung. »Er muss sich noch von gestern erholen.«
»Dann weck ihn, Danny. Ich muss nämlich mit ihm reden.«
»Wie stellst du dir das eigentlich vor? Du kannst hier nicht einfach so reinplatzen. Du bist kein Cop mehr. Dazu hast du kein Recht.«
»Hast du etwa das Recht zu bestimmen, von wem er Besuch bekommt und von wem nicht?«
Das schien ihrem Zorn einen leichten Dämpfer aufzusetzen. Sie blickte auf den Werkzeugkasten in meiner Hand und auf die Schachtel unter meinem Arm.
»Was ist das?«
»Ich habe ein Geschenk für ihn dabei. Hör zu, Danny, ich muss mit ihm reden. Es werden Leute kommen, um mit ihm zu sprechen. Ich muss mit ihm reden, damit er darauf vorbereitet ist.«
Sie gab nach. Ohne ein weiteres Wort trat sie zurück und machte die Tür weit auf. Sie winkte mich mit ausgestrecktem Arm nach drinnen, und ich betrat das Haus. Ich fand den Weg ins Schlafzimmer allein.
Lawton Cross schlief in seinem Rollstuhl. Sein Mund war offen, und über sein Kinn schlängelte sich eine irgendwie medikamentös aussehende Sabberspur. Ich hatte keine Lust, ihn anzusehen. Er erinnerte einen zu sehr an das, was passieren konnte. Ich stellte den Werkzeugkasten und die Schachtel mit der Uhr aufs Bett. Als ich zur Tür zurückging, um sie zu schließen, knallte ich sie absichtlich so laut zu, dass Cross wach wurde. Ihn anzufassen, um ihn zu wecken, widerstrebte mir.
Als ich mich zum Rollstuhl umdrehte, sah ich seine Augen flattern und dann auf Halbmast verharren.
»Hallo, Law? Ich bin's, Harry Bosch.«
Ich bemerkte das grüne Lämpchen des Babyphons
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