Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
gut du kannst. Lass dir ihre Namen geben und sag Danny, sie soll mich anrufen, sobald sie wieder weg sind.«
»Ich werde es versuchen. Ich möchte nur meine Ruhe.«
»Ich weiß, Law.«
Ich trat näher an den Rollstuhl heran und hielt den Flachmann in sein Blickfeld.
»Willst du noch was?«
»Scheißt der Papst im Wald?«
Ich goss einen ordentlichen Schluck in seinen Mund, dann einen kleinen hinterher. Ich wartete, bis er runterwanderte und sich dann wieder nach oben in seine Augen arbeitete. Sie schienen glasig zu werden.
»Alles klar?«
»Sicher.«
»Da sind noch ein paar Fragen, die ich an dich hätte. Sie sind mir erst eingefallen, nachdem ich mit dem FBI gesprochen habe.«
»Was zum Beispiel?«
»Zum Beispiel dieser Anruf, den Jack bekam. Beim FBI behaupten sie, es existiert nichts Schriftliches, dass Gessler wegen der Liste mit den Scheinen jemanden angerufen hat.«
»Das ist doch ganz einfach. Vielleicht war es gar nicht sie, sondern jemand anders. Wie gesagt, Jack hat mir nicht erzählt, wie sie hieß. Oder wenn doch, habe ich es vergessen. Ich kann mich jedenfalls nicht mehr daran erinnern.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass sie es war. Alles, was du sonst noch erzählt hast, passt genau ins Bild. Sie hatte in ihrem Laptop genau so ein Programm, wie du es beschrieben hast. Es ist zusammen mit ihr verschwunden.«
»Da hast du's. Wahrscheinlich gab es auch einen Vermerk, dass sie angerufen hat. Er ist nur auch mit ihr verschwunden.«
»Schon möglich. Aber jetzt noch mal zum Zeitpunkt des Anrufs. Kannst du dich daran noch erinnern? Wann ihn Dorsey ungefähr bekam?«
»Also, jetzt hör aber mal, Harry, keine Ahnung. Das war doch eine reine Lappalie. Nichts weiter als ein Anruf. Ich bin sicher, Jack hat ihn ins Log eingetragen.«
Er meinte das chronologische Log. In das Log wurde alles eingetragen. Oder sollte zumindest eingetragen werden.
»Klar, ich weiß«, sagte ich. »Aber dazu habe ich keinen Zugang. Hast du das schon wieder vergessen? Ich bin nicht mehr dabei.«
»Ja, ja, klar.«
»Du hast mir erzählt, du hättest gedacht, es war ungefähr zehn Monate nach Einleitung der Ermittlungen. Du hast gesagt, ihr hättet damals bereits andere Fälle übernommen und für Angella Benton wäre in erster Linie Jack zuständig gewesen. Sie wurde am sechzehnten Mai neunundneunzig ermordet. Martha Gessler verschwand am neunzehnten März des darauffolgenden Jahres. Das war fast genau zehn Monate später.«
»Dann habe ich mich also richtig erinnert. Was willst du sonst noch von mir wissen?«
»Es ist nur komisch, dass …«
Ich sprach nicht weiter. Ich überlegte, was ich ihn fragen und wie ich es formulieren sollte. Irgendetwas am zeitlichen Ablauf stimmte nicht.
»Was ist komisch?«
»Ich weiß auch nicht. Ich finde nur, wenn Jack erst kurz zuvor mit dieser Agentin gesprochen hätte, hätte er das doch erwähnt, als sie als vermisst gemeldet wurde. Diese Geschichte hat damals für ziemliches Aufsehen gesorgt, weißt du nicht mehr? Die Zeitungen waren voll davon, und auch im Fernsehen haben sie ständig darüber berichtet. Wäre es vielleicht möglich, dass er den Anruf wesentlich früher bekam? Als ihr mit den Ermittlungen noch ganz am Anfang standet? Dann wäre denkbar, dass Jack nicht mehr an diese Sache mit dem Anruf dachte, als sie verschwand und dieser Medienzirkus losging.«
Darüber dachte Cross eine Weile schweigend nach. Ich spielte verschiedene andere Möglichkeiten durch, rannte dabei aber ständig gegen logische Wände.
»Gib mir doch noch einen Schluck von diesem Zeug da, Harry, ja?«
Er versuchte, zu viel davon hinunterzusaugen, und es kam wieder hoch und brannte in seiner Kehle. Als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme heiserer als sonst.
»Das glaube ich nicht. Ich glaube, es war nach zehn Monaten.«
»Schließ bitte kurz die Augen, Law.«
»Wie bitte? Wieso?«
»Schließ einfach die Augen und konzentrier dich auf diese Erinnerung. Egal, worauf du dich dabei stützt, konzentrier dich darauf.«
»Willst du mich etwa hypnotisieren, Harry?«
»Ich versuche nur, deine Gedanken zu bündeln, dir dabei zu helfen, dich an das zu erinnern, was Jack gesagt hat.«
»Das funktioniert doch nie.«
»Nur, wenn du dich dagegen sperrst. Entspann dich, Law. Versuch, dich zu entspannen und alles zu vergessen. Als wäre dein Verstand eine Tafel, die du sauber wischst. Denk an das, was Jack über den Anruf gesagt hat.«
Seine Augen bewegten sich unter den dünnen, blassen
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