Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
dass er sich lebenslänglich ohne Bewährung eingehandelt hatte. Dieser Drecksack hat bekommen, was er verdiente.«
Das Lachen kam wieder hoch, und dann sah ich das Licht aus seinen Augen weichen.
»Was ist, Law?«
»Er ist jetzt oben in Corcoran und spielt auf dem Gefängnishof Handball oder kriegt von der Mexikanermafia stundenweise seinen Arsch vermietet. Und ich bin hier. Wahrscheinlich hab ich auch lebenslänglich ohne gekriegt.«
Seine Augen sahen in meine. Ich nickte, weil es das Einzige war, was mir einfiel.
»Das ist nicht gerecht, Harry. Das Leben ist nicht gerecht.«
17
Die Downtown-Bibliothek war in der Flower Street, Ecke Figueroa. Sie war eins der ältesten Gebäude von Los Angeles. Deshalb wirkte sie neben den modernen Glas- und Stahlbauten in ihrer Umgebung winzig. Sehenswert war vor allem ihr Inneres mit der Kuppelrotunde, deren rundum laufende Mosaike die Gründung der Stadt durch die padres darstellten. Die Bibliothek war zweimal einer Brandstiftung zum Opfer gefallen und jahrelang geschlossen gewesen, aber jetzt war sie wieder in ihrer ursprünglichen Pracht hergestellt. Ich war nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder dort gewesen. Und ich ging immer wieder hin. Der Bau brachte mich dem Los Angeles nahe, das ich in Erinnerung hatte. Wo ich mich wohl fühlte. Ich nahm mein Mittagessen in die Leseräume oder auf die Terrassen der oberen Etagen mit, um dort Akten zu studieren und mir Notizen zu machen. Ich lernte die Sicherheitsbeamten und Bibliotheksangestellten kennen. Ich hatte einen Bibliotheksausweis, obwohl ich selten ein Buch auslieh.
Ich fuhr nach meinem Besuch bei Lawton Cross in die Bibliothek, weil ich Keisha Russell nicht mehr dafür einspannen konnte, mir bei Zeitungsrecherchen zu helfen. Die Tatsache, dass sie in Sacramento angerufen hatte, um Erkundigungen über mich einzuziehen, obwohl ich sie lediglich darum gebeten hatte, alle Meldungen über Martha Gessler herauszusuchen, war mir eine Warnung gewesen. Ihre journalistische Neugier würde sie weiterführen als meine Anfragen, an Orte, wo ich sie nicht haben wollte.
Die Information war im ersten Stock. Ich kannte die Frau hinter dem Schalter vom Sehen, hatte aber noch nie mit ihr gesprochen. Ich konnte sehen, dass sie mich erkannte, als ich auf sie zuging. Wo es früher eine Dienstmarke getan hatte, benötigte ich jetzt einen Bibliotheksausweis. Sie warf einen kurzen Blick darauf und sah meinen Namen.
»Wissen Sie, dass Sie denselben Namen haben wie ein berühmter Maler?«, fragte sie.
»Ja, weiß ich.«
Sie wurde rot. Sie war Mitte dreißig mit einer unattraktiven Frisur. Sie trug ein Namensschild, auf dem Mrs Molloy stand.
»Sicher«, sagte sie. »Natürlich wissen Sie das. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich müsste aus der Times von vor etwa drei Jahren verschiedene Meldungen heraussuchen.«
»Möchten Sie eine Stichwortsuche machen?«
»Wahrscheinlich. Was ist das?«
Sie lächelte. »Bis zurück zum Jahrgang neunzehnhundertsiebenundachtzig haben wir die los Angeles Times im Computer. Wenn die Meldung, die Sie suchen, nach diesem Zeitpunkt erschienen ist, müssen Sie sich nur in einem unserer Computer hier einloggen und ein Stichwort oder einen Schlüsselbegriff eingeben, zum Beispiel einen Namen, von dem Sie denken, dass er in der Meldung vorkommt, und dann werden Ihnen alle Stellen, in denen er vorkommt, herausgesucht. Der Zugang zum Archiv der Zeitung kostet eine Gebühr von fünf Dollar pro Stunde.«
»Schön, das ist es, was ich machen will.«
Sie lächelte und holte ein etwa 30 Zentimeter langes Gerät aus weißem Plastik unter der Theke hervor und gab es mir. So einen Computer hatte ich noch nie gesehen.
»Was soll ich damit machen?«
Fast musste sie lachen.
»Das ist ein Pieper. Im Moment sind alle unsere Computer besetzt. Sobald einer frei wird, rufe ich Sie auf.«
»Ach so.«
»Der Pieper funktioniert nur im Innern des Gebäudes. Er gibt auch kein Geräusch von sich, sondern vibriert nur. Tragen Sie ihn also am Körper.«
»Mache ich. Können Sie sagen, wie lange es ungefähr dauern wird?«
»Wir haben die Benutzungsdauer auf eine Stunde begrenzt. Im Moment hieße das, dass erst in einer halben Stunde einer frei wird. Allerdings schöpfen keineswegs alle Benutzer ihre Stunde voll aus.«
»Gut, danke. Ich bleibe in der Nähe.«
Ich fand in einem der Lesesäle einen leeren Tisch und beschloss, an der Fall-Chronologie zu arbeiten. Ich holte meinen Block
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