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Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Titel: Harry Bosch 09 - Letzte Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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hatte. Er ließ seine Frau anrufen, und dann musste sie ihm das Telefon halten, damit er mit mir sprechen konnte.
    »Harry, denkst du noch manchmal an Angella Benton?«
    »Ständig«, sagte ich.
    »Ich auch, Harry. Mein Erinnerungsvermögen ist wieder zurückgekehrt, und ich denke oft über diesen Fall nach.«
    Mehr war nicht nötig. Als ich das letzte Mal aus dem Stationsgebäude der Hollywood Division gegangen war, hatte ich geglaubt, ich hätte genug, ich sei um meine letzte Leiche herumgegangen und hätte zum letzten Mal jemanden verhört, von dem ich wusste, dass er log. Aber abgesichert hatte ich mich trotzdem. Ich hatte eine Schachtel mit Akten mitgenommen – Kopien offener Fälle aus zwölf Jahren bei der Mordkommission der Hollywood Division.
    In dieser Schachtel war auch Angella Bentons Akte gewesen. Ich musste den Ordner nicht aufschlagen, um mich an die Einzelheiten zu erinnern, um mir vor Augen zu führen, wie ihre Leiche auf dem Fliesenboden ausgesehen hatte, so wehrlos und geschändet. Es versetzte mir immer noch einen Stich ins Herz. Es ging mir gewaltig gegen den Strich, dass sie in dem Spektakel danach völlig untergegangen war, dass ihr Leben erst wichtig wurde, nachdem zwei Millionen Dollar geraubt worden waren.
    Ich hatte den Fall nicht zum Abschluss gebracht. Bevor ich dazu Gelegenheit fand, wurde er mir von oberster Stelle entzogen. So war das beim LAPD. Aber das war damals gewesen, und das hier war jetzt. Lawton Cross' Anruf änderte das alles in mir. Er beendete meinen verlängerten Urlaub. Er verschaffte mir einen Job.

3
    Ich hatte keine Dienstmarke mehr, aber ich hatte noch alle möglichen Angewohnheiten und Instinkte, die von der Marke kamen. Wie ein ehemaliger Raucher, dessen Hand nach dem Kick, der nicht mehr dort ist, in seine Hemdtasche greift, ertappte ich mich immer wieder dabei, dass ich auf die eine oder andere Weise nach dem Trost meiner Dienstmarke griff. Fast dreißig Jahre meines Lebens war ich Teil einer Organisation gewesen, die Abschottung von der Außenwelt propagierte und eine ›Wir gegen sie‹-Einstellung kultivierte. Ich war Teil des Kults der blauen Religion gewesen, und jetzt war ich raus, exkommuniziert, Teil der Außenwelt. Ich hatte keine Dienstmarke. Ich gehörte nicht mehr zu uns. Ich war einer von ihnen.
    Es hatte in den Monaten seither nicht einen Tag gegeben, an dem ich meinen Entschluss, den Dienst zu quittieren, nicht abwechselnd bereute und guthieß. Es war eine Phase, in der meine Hauptbeschäftigung darin bestand, die Dienstmarke und das, wofür sie stand, von meiner eigenen, persönlichen Mission abzukoppeln. Die meiste Zeit hatte ich geglaubt, die zwei seien untrennbar miteinander verbunden, ich könne das eine nicht ohne das andere haben. Aber dann kam im Lauf der Wochen und Monate die Erkenntnis, dass eine Identität stärker war, dass sie die Oberhand gewann. Meine Mission blieb intakt. Ob nun mit oder ohne Dienstmarke, meine Aufgabe in dieser Welt war, für die Toten einzutreten.
    Als ich nach dem Telefongespräch mit Lawton Cross auflegte, wusste ich, dass ich bereit war und dass es Zeit war, wieder für sie einzutreten. Ich ging zum Schrank im Flur und holte die Schachtel heraus, die die staubigen Akten und die Stimmen der Toten enthielt. Sie sprachen in Erinnerungen zu mir. In Tatortansichten. Am besten von ihnen allen konnte ich mich an Angella Benton erinnern. Ich erinnerte mich an ihre auf den Terrakottafliesen zusammengekrümmte Leiche, an ihre Hände, die sie nach mir auszustrecken schien.
    Und schon hatte ich meine Mission.

4
    Am Morgen nach dem Tag, an dem ich mit Alexander Taylor gesprochen hatte, saß ich in meinem Haus im Woodrow Wilson Drive am Esszimmertisch. In der Küche stand eine Kanne mit heißem Kaffee. Ich hatte den 5-Disc-Wechsler mit CDs geladen, die einiges von Art Peppers letzten Einspielungen als Sideman enthielten. Und ich hatte die Dokumente und Fotos aus der Akte Angella Benton vor mir ausgebreitet.
    Die Akte war nicht vollständig, weil die RHD den Fall in einem Moment übernommen hatte, als die Ermittlungen in eine ganz bestimmte Richtung zu zielen begannen und viele Berichte noch nicht geschrieben waren. Sie war nur ein Einstieg. Aber nachdem mittlerweile fast vier Jahre zwischen mir und dem Verbrechen lagen, war sie alles, was ich hatte. Die Akte und die Liste mit den Namen, die mir Alexander Taylor am Tag zuvor genannt hatte.
    Während ich mich für einen Tag rüstete, an dem ich Namen ausfindig machen und

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